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Es rappelt im Karton

Marcus Bösch23. April 2003

Wendy hat großes Glück: Sie ist zeitlebens fünfzehn. Und alles könnte so schön sein. Komiker Helge Schneider zeigt sein erstes Theaterstück in Bochum. Über Pferdemädchen, Premieren und das Phänomen Helge Schneider.

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Haltestelle oder Herrentorte?Bild: AP

Helge Schneider mag die "Wendy". Schon 1993 in seinem ersten großen Kinofilm "Texas" kommt das Fachblatt für pferdeverliebte Mädchen im pre-pubertären Alter zum denkwürdigen Einsatz. Vor schlecht ausgeleuchteter Kulisse, irgendwo im Sauerland, rezitiert Cowboy Helge alias Doc Snyder im kneifend engen Fantasiekostüm aus einem der dünnen Comic-Heftchen. Am Lagerfeuer verbrutzelt ein Plastikschwein aus der Requisite. Snyders Plateaustiefelletten versinken knöcheltief im Matsch. Und der einzige Zeuge der Szenerie, eine gutmütige Schimmelstute glotzt gelangweilt in die Nacht.

Mülheim und Marihuana

Die kurze Szene verdeutlicht ganz zentrale Aspekte im Schaffen des Allroundtalents Helge Schneider. Der Regisseur, Schauspieler, Musiker, Komiker und Autor macht ausschließlich das, was ihm Spaß macht – egal ob als Cowboy, Detektiv oder singende Herrentorte. Und Spaß machen dem inzwischen 47-Jährigen aus Mülheim an der Ruhr offensichtlich auch Pferde, Pferdezeitschriften und Pferdemädchen. Der sehr spezielle Humor des Multitalents bleibt dabei vor ergiebigen Analysen gefeit. Schließlich verflüchtigt er sich, sobald man auch nur anfängt erklären zu wollen.

Wendy - Cover der Zeitschrift
Wendy, Mädchenzeitschrift, CoverBild: AP

Frühjahr 2003. Helge Schneiders Anti-Marihuana-Hit ist in den Charts, sein neues Album "Out of Kaktus" steht in den Läden. Und auf der Bühne des Schauspielhauses Bochum feiert sein erstes Theaterstück Premiere. "Wendy das Musical" oder "Mendy das Wusical" heißt die Auftragsarbeit – mit dem Titel nimmt es der Herr Regisseur nicht ganz so genau. "Trash-Opera" schreiben Feuilletonisten inzwischen am liebsten über die auf einer Foto-Love-Story basierende Geschichte über eine zeitlebens 15-jährige Pferdenärrin und ihren treuen Hengst.

Rodeo im Rollstuhl

Helge Schneider Plakat
Helge Schneider PlakatBild: Helge Schneider

"Wir haben keine Ahnung wer sich das Stück anguckt," erklärte Dramaturg Klaus Mißbach vor Premierenbeginn recht vorsichtig. Aber der Name Helge Schneider zieht im Ruhrgebiet eigentlich immer – sogar die Jungen und Legeren ins Theater. Eine ausverkaufte Premierenvorstellung am Gründonnerstag, stehende Ovationen und tüchtig mediales Feedback bestätigten erneut das sichere Händchen von Intendant Matthias Hartmann. Der hat schließlich bereits Harald Schmidt publikumswirksam auf die Bühne geholt. Und jetzt das Durchschnittsalter der Besucher um gut 20 Jahre gesenkt.

Bis Ende Mai 2003 noch stehen Wendy, Hengst "Mocca" und Konsorten auf der Drehbühne in Bochum. Und zelebrieren ein nach Angaben des Regisseurs "lustiges, neues nicht zu kompliziertes Stück". "Volksnah, aber nicht flach" möchte Schneider die Geschichte erzählen, in der alles so schön sein könnte, wäre da nicht die strenge Mutter Gudrun, die es mit dem stotternden Knecht treibt. Oder Vater Heinz, der – seit einem Rodeounfall im Rollstuhl – seinen weißen Porsche Richtung Kegelbahn lenkt. Letztlich wird aber alles gut werden, trotz tänzelndem Metzger, brennendem Schlachthof und ockergelber Kunstledergarnitur.

Verkannte Fäkalsprache

Helge Schneider am Klavier
Der Entertainer Helge SchneiderBild: AP

Einigen reicht das natürlich ganz und gar nicht. Nicht avantgardistisch genug, schimpfen Fans aus alten Tagen. Und auch manch Zeitungsschreiberling meint Wiederholungsschleifen und Fäkalsprache schon um längen besser gesehen und gehört zu haben. Bedauerlicherweise verkennen die Damen und Herren dabei einen zentralen Aspekt im Wirken des Künstlers. Schließlich ist Helge Schneider kein Revolutionär. Er improvisiert schräg und gut an einer Momentaufnahme aus der kleinen Welt der Einfamilienhäuser entlang. Und bleibt bei der Umsetzung weit ab von jeglichem künstlerischen Mainstream.