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Es sieht nicht gut aus

Alexander Kudascheff18. Mai 2005

Alexander Kudascheff faßt den aktuellen Stand um die Europäische Verfassung in Frankreich zusammen.

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Nach einem kräftigen Zwischenspurt der Befürworter scheint sich jetzt die Waage wieder mehr in Richtung NON zu neigen. Es gibt einen stillen, einen fast trotzigen Trend gegen "die da oben", gegen die französische Elite, die sich in diesen Tagen vehement für ein OUI einsetzt. Aber es ist eine ebenso pathetische wie pastorale Rethorik, die bei den Bürgern nicht mehr ankommt.

Von historischer Entscheidung ist ständig die Rede, vom großen historischen Bewußtsein der Franzosen - und das nur ein Ja europäisch sei. Und schlimmer noch, wer NON sage, der sei verantwortlich für eine unmittelbare Krise Europas, wenn das Mutterland der EU die Verfassung ablehne. Aber das imponiert nur in Teilen.

Die stille Mehrheit der Franzosen zeigt sich störrisch, protestentschlossen, harthörig und hartleibig. Selbst in den Cafes wettern bei den ersten Mai-Sonnenstrahlen Gaullisten gegen ein Europa des Kapitals - als seien sie Kommunisten. Und Kommunisten agitieren gegen die Verfassung, weil sie Frankreichs Rolle verkleinere - als seien sie nationalbewußte Gaullisten. Verkehrte Welten - überall.

Denn das Lager der Neinsager besteht aus dem ultrarechten Le Pen, den Erzreaktionären von Villiers (für den die französische Revolution das Grundübel des modernen Frankreichs ist), einer unglaublich großen Minderheit bei den Sozialisten und bei den Grünen (und so mancher nimmt an, sie sei inzwischen die Mehrheit), den Kommunisten, den Trotzkisten (die sich sonst nie auch nur in einer Nebenfrage einig sind), den Globalisierungsgegner, den Leuten von Attac, den Gewerkschaften.

Ein Potpourri der Unterschiede, aber vereint in einem Willen: Frankreich als politische und als soziale Heimat zu retten vor dem anglosächsischen Modell, vor dem amerikanischen Hegemon, vor einem neoliberalen Europa, in dem nur die Freiheit des Markts zählt. Und diese Verweigerungsfront trifft den Nerv und die Gefühlslage der Franzosen - so sehr sich auch Raffarin, Giscard und andere dagegen stemmen.

Und so paßt es in die aufgeregte politische Landschaft genau hinein, dass neben der Verfassung die chinesischen Textilimporte das wichtigste Thema in Frankreich sind. Und die chinesische T-Shirt-Schwemme - sie ist auch nur ein Ausdruck des Welthandels oder des Kapitalismus. Also, wer dagegen ist, muß NON sagen zur Verfassung. Und gegen diese gefühlte Angst läßt sich von den Verfassungsfreunden nur schwer ankämpfen.

Immerhin: wer die Kampagnen beobachtet, wer den Diskussionsrunden im Fernsehen und im Radio zusieht und zuhört, wer die unentwegten erregten spontanen Diskussion miterlebt, der muß auch feststellen: Selbst wenn Frankreich Nein sagt zur Verfassung, das Land hat sich intensiv mit ihr beschäftigt. Europa solle durch die Verfassung bürgernäher, demokratischer, transparenter werden, hatten die Mitglieder des Verfassungskonvents gesagt. Zumindest das Referendum löst dieses Versprechen ein. Europa ist näher an die Menschen herangerückt, es ist transparenter, es ist demokratischer.

Deswegen: Wer für Europa werben will (selbst wenn seine Argumente nicht ankommen), muß sich bei den großen europäischen Fragen für ein Plebiszit aussprechen. Und zwar in allen 25 Ländern an einem Tag. Dann entscheidet zum Schluss der mündige europäische Bürger und nicht der innenpolitisch enttäuschte Franzose, Niederländer oder Tscheche.