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Politik

Aufnahmestopp für Migranten bleibt

Marko Langer
27. Februar 2018

Sind Mitarbeiter der Essener Tafel Nazis? Darf man Deutsche bei Essensspenden bevorzugen? Die Probleme der Tafel löst man mit solchen Fragen nicht. Der Aufnahmestopp für Nicht-Deutsche bleibt - zunächst. Ein Lagebericht.

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Deutschland Essener Tafel Graffiti
Bild: picture alliance/AP Images/M. Meissner

Kurz nach neun Uhr am Essener Wasserturm an der Steeler Straße. "Ich weiß dat nich, ich bin nur vom Fußvolk", sagt ein freundlicher Mitarbeiter der Tafel am Telefon. Ob denn der Chef heute etwas sagt? "Keine Ahnung." Am Vormittag ist erstmal Diskretion angesagt: Krisensitzung der Essener Tafel mit dem Bundesverband. Ob es eine Pressekonferenz gebe? Das sei nicht geplant, hört man aus Berlin. Fünf Stunden später ist dann klar: Die Essener Tafel hält vorerst an ihrem Aufnahmestopp für Ausländer fest. 

"Merkel slams ..."

Aufnahmestopp? Lebensmittel nur für Deutsche? Die Aufregung um den Beschluss der Essener Tafel in den vergangenen Tagen war groß. Ein Vorgehen, das auch die Bundeskanzlerin Angela Merkel am Montag kritisierte: "Da sollte man nicht solche Kategorisierungen vornehmen. Das ist nicht gut. Aber es zeigt auch den Druck, den es gibt", erklärte die CDU-Chefin dem TV-Sender RTL. Ein Statement, das umgehend auch von internationalen Medien aufgegriffen wurde: "Merkel slams German food charity for migrant halt", titelte zum Beispiel der englische Dienst der französischen Nachrichtenagentur AFP. Ein machtvolles Machtwort durch die Kanzlerin?

Dass die Flüchtlingskrise nur mit ehrenamtlichem Engagement zu bewältigen sein würde, hatte Merkel nie verschwiegen. Dass aber sich die Situation bei der Tafel in Essen derart entwickeln würde, dass sich ältere Bedürftige angesichts der Ausländer unwohl fühlen, hatte die Kanzlerin nicht im Sinn, als sie sagte: "Wir schaffen das."

Beschmierte Autos, beschmierte Tür

Der Verein in Essen - einer von bundesweit Hunderten - gibt Lebensmittelspenden kostenlos an registrierte Empfänger von Sozialleistungen weiter. Am vergangenen Wochenende nun wurden die gesponsorten Fahrzeuge der Essener Tafel mit dem Wort "Nazis" beschmiert, auch die Tür hat ein Graffiti abbekommen.

Was war eigentlich passiert? Der Beschluss der Essener Tafel stammt von Anfang Dezember und lautet so:

"Da aufgrund der Flüchtlingszunahme in den letzten Jahre der Anteil ausländischer Mitbürger bei unseren Kunden auf 75% angestiegen ist, sehen wir uns gezwungen, um eine vernünftige Integration zu gewährleisten, zurzeit nur Kunden mit deutschem Personalausweis aufzunehmen."

Essener Tafel Jörg Sator
Jörg Sartor, Chef der Essener TafelBild: picture alliance/dpa/R. Weihrauch

Der Ausländeranteil sei auf zuletzt etwa 75 Prozent gestiegen, daher die Neuregelung. Die lief so seit Anfang Januar, ohne Probleme - doch jetzt wurde eine Story daraus.

Im Zentrum des Protestes: der Chef der Essener Hilfsinitiative, Jörg Sartor. Seit 13 Jahren macht er das mit der Tafel. Das von der "Bild"-Zeitung verbreitete Zitat, er sei kurz davor, wegen der Schmierereien und der ganzen Kritik hinzuschmeißen, ist wohl wie vieles in der ganzen Geschichte verkürzt dargestellt. "Ich habe gesagt, ich hab' keinen Bock mehr auf dieses Theater", sagt Sartor der "Süddeutschen Zeitung". An Rücktritt denke er nicht.

Sartor und seinen Vereinskameraden versorgen, so ist es auf der Homepage nachzulesen, etwa 1.800 Familien einmal pro Woche mit Lebensmitteln. Außerdem werden mehr als 107 soziale und karitative Einrichtungen in Essen versorgt. Zusammengerechnet ergebe sich daraus eine Zahl von 16.000 bedürftigen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, die wöchentlich von der Essener Tafel versorgt würden. Und wie gesagt: Der Ausländeranteil lag zuletzt bei 75 Prozent. 

"Die schubsen immer, da ist Theater"

Andere Bedürftige, wie zum Beispiel Rentnerinnen, hätten sich nicht mehr wohlgefühlt und seien einfach weggeblieben, beschrieb der Vereinschef in der vergangenen Woche gegenüber der Deutschen Welle die Problematik. Er sei mehrfach angesprochen worden, weil es zu oft Drängeleien gab, so Sartor. "Die schubsen immer, da ist Theater", hätten sich andere Bedürftige beklagt. Er wolle sich nicht hinstellen und Polizei spielen: "Ich sage immer: 'Werdet Euch selber einig.' Die sollen sich untereinander vernünftig benehmen. Und dieses vernünftige Benehmen untereinander geht meiner Meinung nach nur, wenn es ein ausgewogenes Verhältnis von Deutschen und Ausländern gibt."

Nach einem Bericht der "Rheinischen Post" (RP) waren die Schwierigkeiten mit den Migranten bekannt. Sowohl der Landesverband der Tafel als auch die Stadtverwaltung seien informiert gewesen. Dass der Landesverband von den Plänen Sartors wusste, ist nicht unwahrscheinlich: Schließlich ist er ja selbst zweiter Vorsitzender in NRW. Die RP zitiert den Landesvorsitzenden Wolfgang Weilerswist mit den Worten: "Was ich aber genau weiß, ist, dass Sartor die Politik in Essen mehrfach darauf hingewiesen hat, dass es an allen Ecken und Kanten fehlt. Und es brennt."

Kein Rassismus, sondern Hilflosigkeit

Aus dem Essener Rathaus kommt von der Krisensitzung am Dienstag immerhin Rückwind für die ehrenamtlichen Tafel-Leute: "Sie haben es verdient, dass wir gemeinsam und schnell an konstruktiven Lösungen arbeiten und die ganze Stadt sich hinter diese engagierten Männer und Frauen stellt", schrieb Sozialdezernent Peter Renzel auf Facebook. In Essen soll es in den nächsten zwei Wochen einen Runden Tisch geben, um über die künftige Lebensmittel-Verteilung nachzudenken, hieß es nach der Sitzung am Mittag. Es bestehe aber weiter Einigkeit, dass Alleinerziehende, Senioren und Familien mit minderjährigen Kindern im Mittelpunkt stehen sollten. 

Tafel in Essen
Der Ausgaberaum der Tafel in EssenBild: DW/C. Bleiker

An guten Empfehlungen für den Essener Tafel-Chef Sartor, wie man das anders handhaben könnte, hat es in den vergangenen Tagen nicht gemangelt. Der Vorsitzende des Dachverbandes der Tafeln, Jochen Brühl, meinte, dass die Essener Tafel keine gute Lösung für ihre Verteilprobleme gefunden habe. Heuchlerisch seien allerdings die empörten Reaktionen von Politikern wie Bundessozialministerin Katarina Barley (SPD), deren Ministerium die Schirmherrschaft über die Tafeln hat, sagt er. Denn schließlich sei es Aufgabe von Politik und Gesellschaft, Flüchtlinge und andere Bedürftige ausreichend zu versorgen. Stattdessen verwiesen offizielle Stellen Migranten aber oftmals gezielt an die die privat und ehrenamtlich geführten Tafeln. Die Mitarbeiter seien mit dem Ansturm teilweise überfordert. "Das ist kein Rassismus, das ist Hilflosigkeit", sagt Brühl.

Die Konkurrenz der Armen? Unerträglich 

Die Sprecherin der sogenannten Armutskonferenz, einem Zusammenschluss aus Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege, dem Deutschen Gewerkschaftsbund und deutschlandweit tätigen Fachverbänden und Betroffeneninitiativen, nannte es gegenüber der Deutschen Presse-Agentur "unerträglich", dass von Armut Betroffene Menschen jetzt in Konkurrenz zueinander stünden. "Es kann nicht länger sein, dass staatliche Maßnahmen wie der Regelsatz das Auskommen nicht sichern und Ehrenamtliche einspringen sollen, die das an die Belastungsgrenze bringt", sagte Barbara Eschen. Wer würde ihr widersprechen wollen? Doch genau aus diesem Grund gibt es die Tafeln. Ganz gleich, wer dort hin kommt.