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Westbalkan weit von EU entfernt

9. September 2010

Die EU tut sich mit der Aufnahme des Westbalkans schwer. Die Erweiterungsmüdigkeit hat den Reformprozess in der Region verlangsamt, glauben Experten. Ohne konkrete EU-Perspektive werde sich dieser Trend verstärken.

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EU-Flagge und Baustelle (Grafik: Europäische Kommission)
Der Ausbau des europäischen Hauses verzögert sichBild: European Communities

Politikern des Westbalkans ist bewusst geworden, dass der Beitritt ihrer Länder zur Europäischen Union nicht so bald erfolgen wird, wie sie ihrer Bevölkerung versprochen hatten. "Es gibt keinen großen Enthusiasmus mehr für die Erweiterung bei der EU", sagte Albaniens Premierminister Sali Berisha der ausländischen Presse. Das hat er seinen eigenen Landsleuten so deutlich noch nicht gesagt. Sali Berisha versuchte seine Aussage abzuschwächen. Beim Thema Aufnahme des Westbalkans seien die EU-Mitglieder zwar zögerlich, allerdings nicht allzu sehr.

Furcht der Skeptiker

Das sehen die Autoren einer im August veröffentlichten Analyse der "Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik" (DGAP) anders. Sie meinen, dass der EU-Beitritt der Region in noch weitere Ferne gerückt sei. Die globale Wirtschaftskrise habe die Erweiterungsmüdigkeit der EU-Mitglieder verstärkt. Deutschland und Frankreich stünden der Aufnahme neuer Staaten skeptisch gegenüber, heißt es in der Studie. "In Deutschland gibt es politische und religiöse Argumente gegen den Beitritt der Türkei, also die Sorge, dass ein großes Land, ein muslimisches Land beitreten könnte, dessen Arbeiter Deutschland überfluten würden", sagte Natasch Wunsch, eine der beiden Autoren der Studie. "In Deutschland wird mit wirtschaftlichen Argumenten gearbeitet. Deutschland ist der größte Nettozahler der EU und befürchtet, dass mit jedem neuen armen Land, das der EU beitritt, - und die Westbalkanländer sind arme Länder - Deutschland mehr bezahlen muss für die einzelnen Reformen in diesen Ländern", so Natasha Wunsch.

Finanzhilfe

Gernot Erler (Foto: Anila Shuka)
Befürwortet Aufnahme des Balkans: Gernot ErlerBild: Anila Shuka

Seitens der EU ist geplant bis 2013 die Vorbeitrittsprozesse für den Westbalkan mit 8,87 Milliarden Euro finanziell zu unterstützen. "Gerade angesichts der gegenwärtig noch wirksamen Wirtschaftskrise ist es sehr wichtig, dass die Vorbeitrittshilfen und andere Hilfsprogramme nicht gekürzt werden“, sagt Gernot Erler, ehemaliger Staatsminister im Auswärtigen Amt. Erler ist zurzeit stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Effekte des globalen wirtschaftlichen Abschwungs im Westbalkan zeigen sich in sinkenden Ausfuhren und fehlenden Auslandsinvestitionen. Die Produkte aus dem westlichen Balkan werden weniger nachgefragt und es ist damit zu rechnen, dass die bereits sehr hohe Arbeitslosigkeit weiter steigt. In Mazedonien liegt die Arbeitslosenquote zum Beispiel bei 32,2 Prozent, in Bosnien-Herzegowina bei 42,7 Prozent.

Sechs-Stufen-Prozess

Der Beitrittsprozess des Westbalkans ist ein komplizierter Prozess, der in sechs Stufen verläuft. Bosnien-Herzegowina und Serbien sind auf Stufe drei. Sie haben das sogenannte Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) mit der EU geschlossen, das von allen 27 Mitglieds-Staaten ratifiziert werden muss. Albanien und Montenegro sind auf Stufe vier. Das SAA mit diesen beiden Ländern ist bereits ratifiziert. Mazedonien ist auf der 5. Stufe. Das heißt, es hat den Status eines offiziellen Beitrittskandidaten, ohne dass ein Termin für die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen feststeht. Kroatien ist auf der sechsten Stufe angekommen und seit Oktober 2005 wird über den Beitritt verhandelt. Die Verhandlungen sollen noch in diesem Jahr abgeschlossen werden. Kosovo ist auf Stufe Null, was bedeutet, dass noch nicht einmal eine Machbarkeitsstudie erstellt wurde.

Langzeitperspektive

Flaggen Kroatien und der EU (Foto: Alen Legovic)
Kroatien: Schon bald in der EU?Bild: Alen Legovic

Für den westlichen Balkan wird es sehr viel schwieriger werden, in die EU zu kommen, als es dies für die Länder Mitteleuropas war, oder auch für Bulgarien und Rumänien. Im Moment erfüllen außer Kroatien die Balkanländer die objektiven Kriterien nicht, was den Beitritt per se verzögert. "Diese Langzeitperspektive im Vergleich zu der ersten Osterweiterung führt dazu, dass dieses Reform-Momentum, das bei der ersten Erweiterungsrunde so beeindruckend stark war, für den Westbalkan im Augenblick nicht zu beobachten ist" sagte Gernot Erler, Außenpolitik-Experte der SPD. "Das ist ein Problem, weil dies den ganzen Entwicklungsprozess eher verlangsamt.

Unter den EU-Mitgliedsstaaten gibt es auch Befürworter eines schnellen Beitritts, zum Beispiel Großbritannien. Natasha Wunsch, die Expertin der DGAP, schränkt ein: "Allerdings vor dem Hintergrund, dass Großbritannien eher skeptisch gegenüber einer Vertiefung der EU ist. Ansonsten gibt es spezielle Befürworter des Beitritts der Balkanländer, Slowenien ist ein sehr starker Befürworter, auch Tschechien ist generell für einen Beitritt des Westbalkans." Dann gebe es auch EU-Länder, die für den Beitritt einzelner Balkanländer seien. So unterstützte etwa Italien sehr stark Serbien, meint Natasha Wunsch in ihrer Analyse. Nötig sei, so die Autorin, eine gezieltere Vergabe von EU-Fördermitteln und eine abgestimmte Strategie zur wirtschaftlichen Gesundung der Region.

Andere Prinzipien

Die mitteleuropäischen Staaten und das Baltikum wurden bei der ersten Erweiterungsrunde 2004 noch als Block behandelt. Das sei bei der Heranführung der Balkanstaaten an die EU anders: "Heute heißt das Prinzip in der Westbalkanregion, dass jedes Land nach seinen eigenen Fortschritten bewertet wird. Jedes geht seinen eigenen Weg, bis es die Kopenhagener Kriterien erfüllt hat, bis es über diesen Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess, dazu kommt, die Voraussetzungen für die Mitgliedschaft zu erfüllen", so der ehemalige Staatsminister Gernot Erler. "Aber wichtiger als die formale Wiederholung der Perspektiven ist es, dass es hier überzeugende Aktionen gibt. Dieses Handeln muss belegen, dass die Beitrittsperspektive eine vernünftige Option für das jeweilige Land ist“, meint Erler weiter.

Sali Berisha, der Regierungchef Albaniens, weiß natürlich um diese Schwierigkeiten und nennt deshalb kein konkretes Datum für einen möglichen Beitritt Albaniens. Einige Diplomaten in Brüssel gehen davon aus, das die westlichen Balkanstaaten ungefähr 2018 aufgenommen werden könnten.

Autorinnen: Aida Cama / Mirjana Dikic

Redaktion: Bernd Riegert