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Zwischen zwei Monstern

24. Juni 2009

Wer nach Minsk reist, begibt sich auf eine Zeitreise. Plätze heißen nach Marx und Lenin. Dennoch will die EU die Kontakte intensivieren. Eindrücke von einer Reise in das Freilichtmuseum des Sozialismus.

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Die Heldentaten des Volkes leben ewiglich!“ – sowjetische Parolen über dem Oktoberplatz im Zentrum von Minsk. (Foto: Christian F. Trippe)
Die Heldentaten des Volkes leben ewiglich! – sowjetische Parolen über dem Oktoberplatz im Zentrum von Minsk.Bild: DW / Christian F. Trippe

Plätze und Prospekte im Zentrum von Minsk heißen nach Marx, Engels und Lenin; an den öffentlichen Gebäuden prangen frisch polierte sowjetische Embleme. Auch das weißrussische Staatsfernsehen geht regelmäßig auf Zeitreise. Morgens läuft dort ein Werbefilm für die Miliz, der Jugendliche zum Eintritt in die Polizeitruppe bewegen soll; darin verspricht ein Offizier, Disziplin und Ausbildung "wie bei den Pionieren“.

Freilichtmuseum des Sozialismus

Wie in die Sowjetunion zurückversetzt fühlen sich viele Besucher in Belorus, das auf Deutsch auch ‚Weißrussland' heißt. Eingefroren auch die politischen Verhältnisse: Seit dem Zerfall der Sowjetunion regiert Alexander Lukaschenko das mitteleuropäische Land mit eiserner Hand. Lukaschenko ist ein lupenreiner Autokrat, der noch bis vor kurzem Einreiseverbot in der Europäischen Union (EU) hatte. Doch nun ist die politische Isolation des ehemaligen Kolchosendirektors durchbrochen. Unter vielen Vorbehalten und vernehmlichem politischen Bauchgrimmen hatte die EU Weißrussland im Frühjahr in ihr Programm zur Ost-Partnerschaft aufgenommen. Um nachzusehen, wie es weiter gehen kann mit dem schwierigen Partner, war EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner jetzt auf offizieller Mission in Minsk.

Humor der Autokraten

Präsident Alexander Lukaschenko und EU-Kommissarin Benita Ferrero-Waldner (Foto: AP)
Beide Seiten müsen sich aufeinander zubewegenBild: AP

Für das Treffen mit Lukaschenko hatte das Protokoll 45 Minuten angesetzt. Es wurden zweieinhalb Stunden. Gleich zu Beginn machte die EU-Diplomatin klar, dass es ihr nicht um politisches Süßholz geht: Jetzt müssten beide Seiten sich aufeinander zu bewegen. Die EU erwarte von Weißrussland Reformen, echte und tiefgreifende Reformen. Aber, sie sei froh, „als erste EU-Kommissarin überhaupt“ in das so lange abgeschottete Land zu reisen. „Hoffentlich nicht als letzte….“ fiel ihr ein sichtlich aufgeräumter Lukaschenko ins Wort. Weißrussland sei souverän und werde es auch bleiben, auch wenn sein Land „zwischen zwei Monstern“ liege. Damit – soviel war klar – meinte der Diktator die EU und Russland. Und mit dieser flapsigen Bemerkung umschrieb Lukaschenko auch sein Grundproblem.

Übermächtiger Bruder im Osten

Europa, der Westen, die EU – all das war dem Lukaschenko-Regime solange herzlich gleichgültig, wie es enge Kontakte zum großen Bruder Russland gab. Doch das war einmal. Mittlerweile bekriegen sich die beiden Länder an der Zollgrenze, liefern sich Import- und Exportscharmützel um Lebensmittel, streiten um den Preis für russische Gaslieferungen. Seitdem Lukaschenko sich weigert, es dem Kreml gleichzutun und die von Georgien abtrünnigen Gebiete Abchasien und Süd-Ossetien als unabhängige Staaten anzuerkennen, hängt der Haussegen richtig schief. Und zu allem Überfluss will Lukaschenko nun auch keine weißrussischen Soldaten in eine schnelle GUS-Eingreiftruppe (unter Moskauer Oberbefehl) entsenden.

Tiefes Misstrauen

Straßenszene in Minsk (Foto: Christian F. Trippe)
Herausgeputzt zur Parade: Am 3. Juli 2009 feiert Minsk den 65. Jahrestag der Befreiung von der deutschen Besetzung.Bild: DW / Christian F. Trippe

Die besondere Beziehung zu Russland sei bislang eine Art Legitimationsgrundlage für das Lukaschenko-Regime gewesen, sagt Vitali Silitski vom unabhängigen ‚Belorussischen Institut für Strategische Studien'. Die Weltwirtschaftskrise tut ein Übriges; vor kurzem erst musste der weißrussische Rubel auf Druck des IWF um 20 Prozent abgewertet werden. Lukaschenko braucht dringend Partner – politisch wie wirtschaftlich.

Die könnte er in der EU finden, wenn er auf die Brüsseler Forderungen eingeht: Den Zensurdruck von den Medien nehmen, Versammlungs- und Meinungsfreiheit gewähren, Nicht-Regierungsorganisationen zulassen, für faire und geheime Wahlen sorgen, die Gerichtsbarkeit endlich nach rechtstaatlichen Normen ausrichten. Bürgerrechtler und Oppositionspolitiker bleiben gegenüber Lukaschenko zutiefst misstrauisch. Die Motive seiner vorsichtigen Öffnung im Inneren finden sie opportunistisch. Schanna Litwina, Vorsitzende des belorussischen Journalistenverbandes, drückt es so aus: „Es gibt bislang nur kosmetische Verbesserungen, keine im System.“

Die EU hofft auf eine neue Ära

Trotzdem spricht Benita Ferrero-Waldner nach den Gesprächen mit der weisrussischen Führung von der „Hoffnung auf eine neu Ära“. Wann wenn nicht jetzt? Weißrussland solle seine Chance nutzen und „klare Signale“ aussenden. Die meisten ihrer Zuhörer im „Hotel d'Europe“ – gut 100 Politiker, Journalisten, Menschenrechtler sind zu ihrem Vortrag gekommen – überzeugt sie damit. Einige Oppositionelle bleiben trotzdem skeptisch. Sie halten das Lukaschenko-Regime für nicht reformierbar.

Das Regime lässt auch an diesem Nachmittag grüßen, in Gestalt vierer fast kahl geschorener Männer in knappen Windjacken. Einige Oppositionspolitiker wollen in ihnen besonders brutale Mitarbeiter einer Sondereinheit erkennen, die zum Einsatz kam, als Kundgebungen der Opposition nieder geknüppelt wurden. Heute sind sie hier, um die Vortragsveranstaltung mit der EU-Kommissarin zu „sichern“. Im Freilicht-Museum des Sozialismus geht es eben manchmal gar nicht lustig zu.

Autor: Christian F. Trippe
Redaktion: Manfred Götzke