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EU-China-Gipfel: Marktwirtschaft und Brexit

Hao Gui11. Juli 2016

Zwei brisante Themen stehen beim EU-China-Gipfeltreffen in Peking in Mittelpunkt: Die Auswirkungen des Brexit auf die Zusammenarbeit und Chinas Anerkennung als Marktwirtschaft. Die hatte die EU für 2016 versprochen.

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EU-Fahne auf China-Fahne (Foto: picture alliance/chromorange/C. Ohde)
Bild: picture alliance/chromorange/C. Ohde

"Unsere Zusagen beim Beitritt zur Welthandelsorganisation 2001 haben wir eingehalten. Unsere Pflichten sind erfüllt", sagte Chinas Ministerpräsident Li Keqiang Mitte Juni 2016 nach dem Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, die China schon zum neunten Mal besuchte. "Jetzt sind andere an der Reihe, um zu ihren damaligen Zusagen zu stehen", forderte Li.

Bundeskanzlerin besuchte China und traf sich mit Chinas Premier Li Keqiang am 13.06.2016. (Foto: Reuters/W. Zhao)
Li Keqiang: "Jetzt sind andere an der Reihe, um zu ihren damaligen Zusagen zu stehen"Bild: Reuters/W. Zhao

Mit "anderen" meinte Li die Europäische Union. Eine Sonderregelung beim WTO-Beitritt sah vor, dass China für einen Zeitraum von 15 Jahren nicht als Marktwirtschaft anerkannt werden kann. Die Frist läuft Ende 2016 ab. Jetzt ist Brüssel am Zug. Die Frist 2016 wurde zwar avisiert, erklärt Chinaexperte Michael Schaefer, Vorstandsvorsitzender der BMW-Stiftung in Berlin, "einen Automatismus gibt es aber nicht".

Die gegenwärtigen Rahmenbedingungen für eine Befürwortung der Anerkennung durch die EU-Kommission sind nicht gut. Nach Angaben der Welthandelsorganisation wurden zwischen 1995 und 2014 insgesamt 119 EU-Ermittlungen gegen chinesische Produkte eingeleitet. Die Verfahren wären nicht möglich gewesen, wenn China als Marktwirtschaft anerkannt würde. Dabei ging es um den Verdacht des Preis-Dumpings, zum Beispiel bei Solarpanelen und Billigstahl aus China. Nach Einschätzung der Gewerkschaften hat Dumping aus China viele Arbeitsplätze in der EU vernichtet.

Kein wirtschaftspolitischer Konsens

Noch am Montag (11.7.2016) mahnte die EU-Handelskommissarin Cecilia Malmstrom in Peking die Etablierung eines sogenannten "level playing field" an, also gleiche Wettbewerbsbedingungen für europäische und chinesische Investoren auf dem chinesischen Markt. Bis dato sind einige Branchen nicht oder nur eingeschränkt für ausländisches Kapital zugänglich; etwa Finanzdienstleistungen oder die Automobilindustrie.

Dr. Michael Schaefer, Vorstandsvorsitzender der BMW-Stiftung
Dr. Michael Schaefer: "Einen Automatismus gibt es nicht"Bild: MERICS

Eine wichtige Voraussetzung für den Präferenzstatus sei, dass es Gleichbehandlung von europäischen Unternehmen in China mit chinesischen in Europa gebe, sagt Schaefer, der von 2007 bis 2013 der deutsche Botschafter in China war. "Hier muss China vor allem bei Themen wie Marktzugang, Gleichbehandlung bei öffentlichen Ausschreibungen und gleichen Investitionsbedingungen nachlegen. Gerade in den beiden vergangenen Jahren hat China Beschränkungen für ausländische Unternehmen etwa bei Ausschreibungen eingeführt, die noch weit von Gleichbehandlung entfernt sind."

Laut Volker Stanzel von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) bestehe in Brüssel Einigkeit, dass es aufgrund der politischen Bedeutung Chinas für beide Seiten sinnvoll wäre, Chinas Wunsch nach Anerkennung als Marktwirtschaft zu entsprechen. Es fehle nur der wirtschaftspolitische Konsens. "Je nach Intensität der Wirtschaftsbeziehungen einzelner EU-Mitgliedsstaaten zu China sind die Bedenken unterschiedlich stark", so Stanzel, der von 2004 bis 2007 deutscher Botschafter in Peking war.

Kompromiss in Sicht?

Bundeskanzlerin Merkel bezog beim Treffen mit ihrem Amtskollegen Mitte Juni keine klare Position. Sie entgegnete auf Lis Forderung: Deutschland erinnere sich "sehr gut" an die damaligen Zusagen und wolle sie nicht in Frage stellen. Sie suche nun nach Wegen, "die WTO-konforme Lösungen hervorbringen und die auch den wirtschaftlichen Problemlagen gerecht werden".

Für einen Kompromiss müsste nach Einschätzung von Stanzel ein Mittelweg gefunden werden. Er geht im Interview mit der Deutschen Welle davon aus, dass die EU-Kommission China fristgerecht den Status der Marktwirtschaft zuerkennt, zugleich aber einen Mechanismus zum Vorgehen gegen Dumping wie bisher zulassen wird.

Eine Lösung, die in Peking Gehör finden könnte, so der ehemalige Botschafter. "Auch in Peking weiß man natürlich, dass China keine echte Marktwirtschaft im Sinne der WTO ist. Es geht vielmehr um den Symbolwert. Die wirtschaftliche Realität wird das nicht beeinträchtigen, weil beide Seiten viel zu sehr miteinander verflochten sind."

Dr. Volker Stanzel, Forscher an der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin (Foto: picture-alliance/dpa/Wang Haixin)
Dr. Volker Stanzel, Forscher an der Stiftung Wissenschaft und Politik in BerlinBild: picture-alliance/dpa/Wang Haixin

Brexit als Chance?

Das Ergebnis der Volksabstimmung in England für den Austritt aus der Europäischen Union überschattet das Gipfeltreffen, das am Dienstag (12.07.) in Peking beginnt. Nach Deutschland ist Großbritannien einer der wichtigsten Handelspartner Chinas in der EU. Viele chinesische Unternehmen nutzen die Standortvorteile in England, um die gesamteuropäischen Märkte zu erschließen. Großbritannien ist als Standort für chinesische Auslandsinvestitionen sehr beliebt, unter anderem deshalb, weil die benötigten Unterlagen nur auf Englisch vorliegen müssen und die meisten Entscheidungsträger in China der englischen Sprache mächtig sind.

Vor der Volksabstimmung in England positionierte sich China mit dem Grundsatz, Peking wolle ein "starkes und vereintes Europa" sehen. Das soll Chinas Staatspräsident Xi Jinping bei seinem letzten Englandbesuch im Oktober 2015 gegenüber dem britischen Premierminister David Cameron gesagt haben. Nun nach dem Brexit muss Peking mit der EU-Delegation unter Leitung von EU-Ratspräsident Donald Tusk und Kommissionspräsident Jean-Claude Junker mit der neuen Lage umgehen, um die EU-China-Beziehungen auszubauen.

Bisher hatten viele Großkonzerne Chinas auf London gesetzt. So übernahm Chinas Staatsbank ICBC im Mai von der britischen Bank Barclays das Goldgeschäft, inklusive eines Tresors für die Aufbewahrung von bis zu 2000 Tonnen des Edelmetalls. Nun aber würden Chinas Unternehmen ihre Engagements in Städten wie Frankfurt oder Paris ausbauen, so Experte Stanzel.

Großdemonstration gegen billige Stahlimporte aus China in Duisburg am 11.04.2016 (Foto: REUTERS/Wolfgang Rattay)
Großdemonstration gegen billige Stahlimporte aus China in Duisburg am 11.04.2016Bild: Reuters/W. Rattay

Auch der Europaexperte Ling Shen, Juniorprofessor an der Ostchinesischen Technischen Hochschule in Schanghai, sieht ein großes Potential für die EU und China. In einem Gastbeitrag für die Deutsche Welle in chinesischer Sprache schreibt Shen: "Nach dem Brexit sind China und Europa mehr als je zuvor auf ein Kooperationen angewiesen. Der Austritt Englands aus der EU und die möglichen Folgen bringen viele Ungewissheiten, die eine vertiefte Partnerschaft notwendig macht."

China könne England allerdings weiterhin als "Sprungbrett" für die Länder nutzen, mit denen England seine Beziehungen ausweitet, glaubt Stanzel, wenn auch nicht so bald: "Um die bilateralen Verträge zwischen China und England zustande zu bringen, wird es viel, viel Zeit brauchen. Dabei kann es viele Probleme geben, von denen man jetzt noch gar keine Ahnung haben kann."