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Politik

EU irgendwie zusammenhalten

Max Hofmann
8. Februar 2017

Die deutsche Kanzlerin ändert ihren Kurs und bewirbt ein Europa der "zwei Geschwindigkeiten". Ihr Ziel: das Projekt EU retten. Vielen aber ist dieses Mittel zum Zweck nicht recht. Max Hofmann berichtet aus Brüssel.

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EU-Gipfel auf Malta | Angela Merkel
Bild: Getty Images/L. Neal

Der letzte Auftritt der deutschen Bundeskanzlerin beim EU-Gipfel in Malta hatte auf sich warten lassen. Ursprünglich für 18 Uhr am Freitagabend vorgesehen, schob sich ihr Presse-Statement immer weiter nach hinten. Je länger das Warten dauerte, desto mehr Journalisten verließen den Raum, um ihre Artikel und Beiträge noch rechtzeitig fertig zu stellen. So bekamen nur wenige live mit, was die Kanzlerin dann schließlich gegen 20 Uhr zu sagen hatte: "Die Geschichte der letzten Jahre hat gezeigt, dass es auch eine EU mit verschiedenen Geschwindigkeiten geben wird, dass nicht alle immer an den gleichen Integrationsstufen teilnehmen werden." Der Satz fand am folgenden Wochenende kaum Widerhall in den europäischen Medien.

Polen Angela Merkel und Beata Szydlo in Warschau
Kein Widerspruch zu Merkels Vorschlag: Ministerpräsidentin Beata SzydloBild: picture-allaince/AP Photo/C. Sokolowski

Dabei war es das erste Mal, dass die deutsche Bundeskanzlerin dieses an sich alte Konzept so deutlich für sich vereinnahmte. Wer an eine einmalige Aussage glaubte, wurde am darauf folgenden Dienstag eines besseren belehrt. Beim Treffen mit Ministerpräsidentin Szydlo sprach Merkel wieder vom Europa der "zwei Geschwindigkeiten". Und die Polin, deren Land sich eigentlich immer gegen dieses Konzept gestellt hatte, widersprach nicht. Spätestens damit wurde klar: Die deutsche Kanzlerin hat sich für einen aus ihrer Sicht gangbaren Weg für das krisengeschüttelte Europa entschieden. Sie wird ihn mit der ihr eigenen, ruhigen Entschlossenheit verfolgen. "Das sollte man ernst nehmen", meint ein EU-Diplomat in Brüssel im Gespräch mit der DW.

"Sie sehen ja die Herausforderungen"

Beim kommenden Gipfel in Rom wollen die Staats-und Regierungschefs nicht nur das 60-jährige Bestehen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft feiern, sondern auch eine Vision für die Zukunft der Post-Brexit-EU aufzeigen. Ein Europa der zwei Geschwindigkeiten, so zeichnet es sich jetzt schon ab, wird Teil dieser Vision sein. Obwohl diese Konstruktion viel Freiraum ließe, da sich Länder je nach Thema und nationaler Befindlichkeit einem Projekt anschließen könnten oder nicht, ist vielen nicht wohl dabei. Der lettische Außenminister ist einer von ihnen. Im Gespräch mit der DW räumt Edgars Rinkevics ein: "Vor ein paar Jahren hätte ich das noch für eine schlechte Idee gehalten." Aber, so der erfahrene Politiker: "Sie sehen ja die Herausforderungen".

Deutschland Lettlands Außenminister Edgars Rinkevics
"Sie sehen ja die Herausforderungen": Lettlands Außenminister Edgar RinkevicsBild: picture-alliance/dpa/F. Zahn

Tatsache ist, dass Europa schon seit Jahrzehnten mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten unterwegs ist. Die Eurozone, die Reisefreiheit im Rahmen des Schengen-Abkommens, das Sozialprotokoll von Maastricht, all das ist jetzt schon Teil einer "abgestuften Integration", denn nicht alle EU-Mitgliedsstaaten nehmen daran teil. Für die Zukunft sind einige Konstellationen denkbar: die Eurozone, ein Kerneuropa mit deutsch-französischem Antrieb oder der Kreis der EU-Gründungsmitglieder. Aber ist nicht genau das auch das Teil des Problems? Nämlich, dass die Interessen der Länder weiter auseinander driften, auch weil ihre Bindung immer lockerer wird? "Irgendwann bekommen wir die Situation, dass die Entscheidungen einer Art Kerngruppe nicht mehr mit den Positionen der anderen vereinbar sind", warnt Rinkevics.

Die EU als Projekt erhalten

Die Frage ist also, ob die EU mit dem Konzept verschiedener Geschwindigkeiten nicht auch ihre Seele verkauft. In Zeiten von Brexit, Trump, Euro- und Migrationskrise folgen viele Politiker in der europäischen Union nur noch der Parole: den Laden irgendwie zusammenhalten, auch wenn das den Abschied vom vereinigten Europa bedeutet. Wegen der vielen Krisen habe die EU "ihren strategischen Fokus" verloren, meint die Europapolitikerin Tanja Fajon. Die Sozialdemokratin kommt aus Slowenien und befürchtet, das kleine Land im Osten der Union würde mit einem Europa verschiedener Geschwindigkeiten hinten runter fallen. Es hätte der nationalen Interessenpolitik der großen Staaten oder Allianzen in der EU nichts entgegen zu setzen. "Die Grundidee war eigentlich, dass wir gleichwertige Partner sind und von gemeinsamer Politik profitieren", so Fajon.

Sarajevo Bosnien - EU Integration Fachkonferenz Tanja Fajon
"Strategischen Fokus verloren": Europaparlamentarierin Tanja FajonBild: DW/Samir Huseinovic

Nun aber verweigern manche Länder wie Ungarn bei heiklen Themen einfach die Zusammenarbeit. Die Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der europäischen Union ist eines davon. Was ist die EU noch wert, wenn Solidarität offiziell ausgeklammert wird zugunsten eines Europas à la carte? "Wir sind in einer beispiellosen Situation", sagt Außenminister Rinkevics, es gehe vor allem darum, die Europäische Union als Projekt zu erhalten. Das gilt insbesondere für die Wirtschaft und auch für die Gemeinschaftswährung des alten Kontinents. Die nächste Griechenland-Krise steht vor der Tür, vielleicht sogar ein Handelskrieg mit Trumps USA. Bevor also alles den Bach runtergeht, versucht die deutsche Kanzlerin wohl zumindest das Skelett der Union zu erhalten. Vielleicht bekommt das Gemeinschaftsprojekt irgendwann in einer besseren, weniger EU-feindlichen Zukunft wieder mehr Fleisch und Muskeln an die Rippen. Das Europa der "zwei Geschwindigkeiten" ist Angela Merkels - vielleicht letzter - Versuch, die EU zu retten.

Hofmann Max Kommentarbild
Max Hofmann Leiter der Hauptabteilung Nachrichten@maxhofmann