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Druck auf Ungarn wächst

Christoph Hasselbach17. April 2013

Kommission und Parlament drohen der ungarischen Regierung wegen umstrittener Verfassungsänderungen mit rechtlichen Schritten. Für viele Abgeordnete stehen die Werte Europas auf dem Spiel.

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Viviane Reding (Foto: Reuters)
Bild: Reuters

Die ungarische Regierung liegt bereits seit Jahren im Clinch mit den Brüsseler Institutionen. Wiederholt hat die Kommission ihre Sorge über Verfassungsänderungen geäußert, die die ungarische Fidesz-Partei mit ihrer Zweidrittelmehrheit durchgesetzt hat oder noch durchsetzen will. Jüngste umstrittene Vorhaben schränken die Unabhängigkeit der Justiz weiter ein, machen den Medien Auflagen bei Wahlwerbung und sollen die ungarischen Bürger bei EU-Bußgeldern gegen den Staat beteiligen.

EU-Justizkommissarin Viviane Reding versicherte am Mittwoch (17.04.2013) im Europaparlament, "dass wir weiter darauf drängen werden, dass die Gesetzgebung mit EU-Recht vereinbar ist und dass der Rechtsstaat geachtet wird." Die Kommission werde die Situation sorgfältig und objektiv prüfen und dann entscheiden, ob eventuell ein Vertragsverletzungsverfahren notwendig sei. Die Kommissarin schloss als letztes Mittel die Anwendung von Artikel 7 des EU-Vertrages nicht aus. Bei "dauerhaften Verstößen gegen die EU-Grundrechte" könnte Ungarn sein Stimmrecht im Ministerrat verlieren, praktisch käme das einem Ausschluss gleich. Doch den Einsatz dieser "Atombombe", wie sich Reding ausdrückte, werde man sich sehr gut überlegen.

"Verliert" die EU ihre Völker?

Viktor Orban (Foto: Reuters)
Prügelknabe Europas? Der ungarische Premier OrbanBild: Reuters

Der Luxemburger Frank Engel als erster Redner der konservativen Volkspartei (EVP) mahnte, es mit den Angriffen auf die ungarische Innenpolitik nicht zu übertreiben. Es bestehe die Gefahr, "dass die Ungarn, ob sie nun Fidesz-Wähler sind oder nicht, den Eindruck bekommen, als stünde Europa nicht wirklich auf ihrer Seite." Diesen Eindruck hätten, aus jeweils unterschiedlichen Gründen, heute bereits Griechen, Zyprer, Italiener und Portugiesen. Europa sei dabei, "viele Völker zu verlieren."

Das Problem der Fraktion der Volkspartei im Europaparlament ist, dass zu ihr auch Orbans Fidesz-Partei gehört. Orban hatte am Dienstag an einer Fraktionssitzung in Straßburg teilgenommen. Vielen Abgeordneten ist diese Gesellschaft peinlich, die Fraktion hat aber die Fidesz-Partei trotz scharfer Kritik anderer Fraktionen bisher nicht ausgeschlossen. Manche EVP-Abgeordnete treten auch die Flucht nach vorn an und stellen die Auseinandersetzung um Ungarn als parteipolitisches Spiel dar.

Sozialistenchef brandmarkt wachsenden Antisemitismus

Doch linke und grüne Abgeordnete meinen, weder gehe es hier um Parteipolitik, noch um eine unangemessene Einmischung in die inneren Angelegenheiten Ungarns. Rebecca Harms, Mit-Fraktionsvorsitzende der Grünen, bezeichnete Bürgerrechte und Rechtsstaatlichkeit, die sie in Ungarn verletzt sieht, als "Herz des europäischen Projektes." "Ich sage das gerade als deutsche Europäerin: Wenn wir das nur als leeres Versprechen für die Europäische Union vor uns hertragen und nicht immer wieder auch einlösen können, dann geben wir das Wesen des europäischen Projektes auf."

Sozialisten-Fraktionschef Hannes Swoboda aus Österreich sieht in Ungarn einen wachsenden Antisemitismus, und die EVP-Fraktion schweige dazu: "Sie können nicht zuschauen, meine Damen und Herren der Europäischen Volkspartei, wenn heute ungestraft in Ungarn auf den Namenstafeln von Professoren draufgeschrieben wird: Jude, Jude, Jude und das Hakenkreuz draufgemalt wird." Er erwarte eine klare Stellungnahme, so Swoboda unter großem Applaus.

Ungarn sehen sich als Prügelknaben Europas

Einige der ungarischen Abgeordneten der Fidesz-Partei sehen die Regierung in ihrem Heimatland als Prügelknabe Europas und als Opfer einer politischen Korrektheit. Sie verweisen auch auf die Zweidrittelmehrheit, die ihre Partei auf dem Wege demokratischer Wahlen erreicht habe und die sie zu Verfassungsänderungen berechtige.

Demonstrant hält Plakat mit der Aufschrift "Ich bin ein Jude" hoch (Foto: dapd)
Protest in Ungarn gegen judenfeindliche Äußerungen der Jobbik-ParteiBild: dapd

Krisztina Morvai, von der rechtsextremen ungarischen Jobbik-Partei gestützte Abgeordnete, will sich dagegen gar nicht weiter mit den Vorwürfen aufhalten. Sie sprach Justizkommissarin Reding, da diese nicht Jura studiert habe, überhaupt die Fähigkeit ab, über Rechtsfragen zu befinden. "Für uns Rechtsanwälte ist das Wesen des Rechtsstaats das Gegenteil von Willkür. Was Sie hier seit Jahren in diesem Krieg gegen Ungarn tun, ist genau das, nämlich Willkür."

Manche werfen der Kommission Feigheit vor

Der belgische Rechtsanwalt und Liberalen-Fraktionsvorsitzende Guy Verhofstadt ist dagegen bereits jetzt überzeugt, dass Ungarn gegen EU-Recht verstößt. Wie seine grüne Parlamentskollegin Harms kritisiert er das, was er als zu große Zurückhaltung der Kommission im Umgang mit Ungarn sieht. Die Kommission solle ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn in Gang setzen. "Und wenn es die Kommission nicht tut, dann müssen wir in diesem Parlament eben den Mut haben, ein Verfahren nach Artikel 7 des Vertrages einzuleiten."

Rui Tavares hingegen, grüner portugiesischer Abgeordneter und Berichterstatter für die Lage in Ungarn, bleibt zurückhaltend. Doch auch für ihn steht bei Ungarn für die EU viel auf dem Spiel. "Eine Institution, die die Werte der Verträge nicht ernstnähme, würde ihrer historischen Verantwortung nicht gerecht. Alle europäischen Bürger müssen wissen, dass diese Institution sie nicht im Stich lässt." Noch steht eine Entscheidung über Ungarn nicht an. Aber im Juni soll ein umfassender Bericht vorliegen. Dann will die Kommission entscheiden, ob sie ein Verfahren gegen Ungarn in die Wege leitet.