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EU-Erweiterungsbericht kritisiert die Türkei

Bernd Riegert9. November 2005

Kritik am Reformtempo in der Türkei, gute Noten für Kroatien - die Europäische Union hat einen Bericht zu den Fortschritten der Beitrittskandidaten vorgelegt.

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EU-Erweiterungskommissar Olli RehnBild: AP
Türkisches Militär
Das Militär hat in der Türkei nach wie vor viel EinflussBild: AP

Das jährliche Zeugnis aus Brüssel war nicht besonders gut. Die Türkei hat zwar viele Reformen eingeleitet und auch Fortschritte gemacht, dennoch gibt es eine Mängelliste mit 148 Punkten, die in den nächsten zwei Jahren abgearbeitet werden sollen. Fünf Wochen nach Aufnahme der förmlichen Beitrittsverhandlungen mit der Türkei legte der EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn am Mittwoch (9.11.2005) einen Bericht über die Annäherung der Türkei an die politischen Standards der EU vor.

"Der Wandel geht in diesem Jahr langsamer voran. Die Umsetzung der Reformen ist nicht ausgewogen", sagte Rehn. "Deshalb sind große Anstrengungen nötig auf dem Feld der Meinungsfreiheit, bei den Frauenrechten, bei den Gewerkschaften und den Rechten der nicht-muslimischen Religionsgemeinschaften." Olli Rehn kritisierte ausdrücklich den Prozess gegen den türkischen Schriftsteller Orhan Pamuk, der wegen seiner Äußerungen zum Völkermord an Armeniern im Ersten Weltkrieg angeklagt wurde. Das Folterverbot müsse überall im Land durchgesetzt werden. Die Lage kurdischer Flüchtlinge sei immer noch nicht verbessert worden. Auch habe das Militär nach wie vor großen Einfluss auf die Rechtsprechung.

Korruption in Kroatien

Recep Tayyip Erdogan
Premierminsiter Recep Tayyip ErdoganBild: AP

Zufrieden ist die EU-Kommission mit der wirtschaftlichen Entwicklung der Türkei. Das Land könne nun als voll funktionsfähige Marktwirtschaft gelten. Vor ernsthaften Beitrittsverhandlungen erwartet die EU von Ankara, dass die strittige Zollunion mit dem EU-Mitglied Zypern vollzogen wird. Bislang weigert sich die Türkei zum Beispiel, Schiffe aus Zypern in türkische Häfen einlaufen zu lassen.

Beim zweiten Beitrittskandidaten Kroatien fielen die Noten besser aus. "Es gibt keine großen Probleme, die politischen Bedingungen zu erfüllen", sagte Rehn. Allerdings müsse die Justiz unabhängiger werden und Korruption besser bekämpft werden. Die Auslieferung des mutmaßlichen Kriegsverbrechers Ante Gotovina müsse weiter verfolgt werden, so Erweiterungskommissar Rehn: "Kroatien muss weiter vollständig mit dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag zusammenarbeiten, bis der letzte Gesuchte vor dem Gericht erschienen ist."

Mazedonien eine "Erfolgsstory"

Ante Gotovina, wird der Kriegsverbrechen in Kroatien beschuldigt
Die EU wartet noch auf die Auslieferung von Ante GotovinaBild: AP

Die im Oktober 2005 aufgenommenen Beitrittsverhandlungen mit Kroatien waren erst möglich geworden, nachdem die Chef-Anklägerin des Tribunals, Carla del Ponte, Kroatien überraschend volle Zusammenarbeit mit ihr bescheinigt hatte. Wegen dieses Punktes waren die Verhandlungen im März 2005 zunächst verschoben worden. Sie könnten nun in drei bis vier Jahren abgeschlossen werden und zu einer Aufnahme des Balkanstaates führen.

Auch den übrigen Staaten des westlichen Balkans bescheinigte Rehn Fortschritte auf dem angestrebten Weg in die Europäische Union. Mazedonien, das Rehn eine "Erfolgsstory" nannte, erhält sogar Kandidatenstatus für einen Beitritt. Konkrete Daten für den Beginn von Beitrittsverhandlungen wollte Rehn aber nicht nennen.

Absage an Georgien und die Ukraine

Bei den anstehenden Erweiterungsrunden solle die Aufnahmefähigkeit der Europäischen Union stärker als bisher berücksichtigt werden, betonte Olli Rehn. Die Angst der EU-Bürger vor zu schneller Erweiterung oder Überdehnung sollten ernst genommen werden: "Wir müssen bei neuen Verpflichtungen sehr vorsichtig sein, aber wir müssen die einmal gegebenen Zusagen einhalten."

Zusagen an Staaten wie die Ukraine oder Georgien wird es in absehbarer Zeit nicht geben. Das haben Kommission und Rat der EU schon mehrfach beschlossen. Der Finne Rehn - sonst eher kein Freund pathetischer Worte - sagte, trotz aller alltäglichen Schwierigkeiten dürfe man nicht vergessen, was mit der EU-Erweiterung erreicht wurde. Das sei gerade am 9. November, dem 16. Tag des Mauerfalls in Berlin, unübersehbar: "Man kann heute mit eigenen Augen sehen, wie sehr sich die Staaten in Zentral- und Osteuropa gewandelt haben, nicht zuletzt durch die Beitrittsperspektive zur Europäischen Union."