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EU will europäische Stahlindustrie schützen

Barbara Wesel12. Mai 2016

China muss in der Welthandelsorganisation als Marktwirtschaft anerkannt werden. Die Kritik daran wächst, denn europäische Arbeitsplätze sind davon bedroht. Vor allem in der Stahlindustrie. Die EU reagiert im Parlament.

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Stahlarbeiter mit Sicherheitshelm vor Hochofen bei ThyssenKrupp- Foto: picture-alliance/dpa/R. Weihrauch
Bild: picture-alliance/dpa/R. Weihrauch

Auch zu dieser Sitzung waren vor dem Europaparlament ein paar hundert Stahlarbeiter aufgezogen, diesmal aus dem Saarland. Sie und ihre Kollegen hatten im Winter schon mehrfach in Brüssel auch vor den EU-Gebäuden demonstriert, sogar gemeinsam mit Industrievertretern. Denn Arbeitnehmer und Chefs eint die Angst um die Zukunft der europäischen Stahlindustrie. Sie sehen sich zunehmend durch das Dumping von chinesischem Billigstahl auf dem europäischen Markt gefährdet. Jüngstes Opfer sind die Tata-Stahlwerke in Wales, die kurz vor der Schließung stehen. Dort geht es um 12.000 Arbeitsplätze, ein Notverkauf soll jetzt das Schlimmste verhindern.

Lösung in letzter Minute

Im Streit um den künftigen Status von China in der WTO (Welthandelsorganisation) ist es kurz vor Zwölf. Im Europaparlament scheint eine Art Panik auszubrechen. Denn schon im Dezember müsste die EU nach den Regeln der WTO China des Status einer Marktwirtschaft zugestehen. Die Übergangsfrist von 15 Jahren läuft ab – aber kann sich deshalb Europa künfig gegen Dumping und unfairen Wettbewerb aus China nicht mehr schützen? Die Regeln der WTO machen das jedenfalls viel schwieriger.

Belgien Proteste der Stahlarbeiter in Brüssel. Foto: REUTERS/Francois Lenoir
Seit Monaten protestieren Stahlarbeiter vor den EU Institutionen gegen billige China-ImporteBild: Reuters/F. Lenoir

Unter höchstem Zeitdruck soll jetzt eine Lösung her. Die EU Kommission gibt sich kämpferisch: "Wir bereiten ein effektives Verteidigungssystem für den Handel vor, um uns gegen unlautere Methoden zu schützen", sagte EU Kommissar Vytenis Andriukaitis. Sonst werde es, so glaubt die Kommission, "zu hohen Kosten in Form von Arbeitsplatzverlusten in Europa kommen". Der litauische Vertreter sprach für die zuständige Kommissarin Cecilia Malmström, die gleichzeitig in Washington ankündigte: "Was immer beim Marktwirtschafts-Status passiert, China muss Verantwortung zeigen und darf nicht seine Überproduktion von Stahl in den Weltmarkt schütten".

"China ist keine Marktwirtschaft"

"China ist keine Marktwirtschaft", erklärte der sozialdemokratische Fraktionschef Gianni Pitella schlicht und viele im EP stimmen ihm zu. Er spricht sogar von Millionen von Arbeitsplätzen, "die durch chinesische Produkte bedroht sein können". Deswegen fordert Pitella Gegenmaßnahmen, und liegt dabei auf einer Linie mit dem deutschen Christdemokraten Daniel Caspary:"Wir wollen die vorsätzlichen Angriffe gegen die EU stoppen. Es geht um unsere Arbeitsplätze". So viel parteiübergreifende Einigkeit ist selten.

Wie kann nun eine Verteidigung des europäischen Marktes aussehen? Sollten die Europäer China den Marktwirtschafts-Status nämlich einfach verweigern, könnte sich Peking mit einem Handelskrieg rächen. Außerdem droht eine Klage bei der WTO, deren Ausgang für die EU ungewiss ist. Denn die Juristen sind uneins, wie das Abkommen über die Aufnahme Chinas in die Welthandelsorganisation auszulegen ist. Manche sagen, die Anerkennung als Marktwirtschaft sei ein Automatismus. Andere behaupten, wenn China die Kriterien dafür nicht erfüllt, kann die Anerkennung auch ausgesetzt werden.

Großbritannien, Stahlwerk der Firma Tata. Foto: Christopher Furlong/Getty Images)
Das Tata-Stahlwerk in Wales ist wegen des Billig-Stahls aus China von der Schließung bedrohtBild: Getty Images/C. Furlong

Die politische Blockade lösen

"Die EU könnte sich auf den Rechtsstandpunkt stellen, die Bedingungen sind nicht erfüllt", sagt Jo Leinen von den deutschen Sozialdemokraten. In dem Fall wäre denkbar, die Anerkennung verweigern. Der China-Experte seiner Fraktion plädiert für einen anderen Weg. Man könnte nach kanadischem oder australischem Beispiel ganze Industriesektoren oder auch Firmen aus der Marktwirtschaftsanerkennung heraus nehmen, meint Leinen. Dann wäre es einfacher, z.B. Stahl oder Solarzellen weiter mit herkömmlichen Anti-Dumping-Zöllen belegen. Das gäbe zwar immer noch einen Konflikt mit China, der wäre aber eher beherrschbar.

Jetzt geht es darum, meint der Sozialdemokrat Leinen, ganz schnell die Blockade im Ministerrat aufzulösen. Vor allem Großbritannien, die Niederlande aber auch Deutschland blockieren dort seit zwei Jahren das Paket mit Anti-Dumping-Instrumenten der EU-Kommission. Inzwischen sieht Leinen jedoch einen Meinungswechsel auch in Berlin und London: Der politische Druck auf die Regierungschefs angesichts drohender Betriebspleiten wächst. Auch die Bundesregierung erkenne, dass die Stahlindustrie eine schützenswerte Grundstoffindustrie sei. "Sie ist ein Grundpfeiler des Industriestandortes Europa", sagt Leinen. Sein Wahlkreis liegt im Saarland.

China Stahlwerk in Beijing. Foto: picture alliance/landov/F. Jiwen
China hat eine Überkapazität von 325 Tonnen Stahl im Jahr - fast das Doppelte der EU ProduktionBild: picture alliance/landov/F. Jiwen

USA und Kanada als Beispiel

Auch Reinhold Bütikofer von den Grünen glaubt an Wandel angesichts der zunehmenden Krise in der europäischen Stahlindustrie:" In der gegenwärtigen politischen Situation könnte sich etwas ändern". Seine Fraktion hat ein Gutachten bei dem Rechtswissenschaftler Marc Bungenberg vom Europa-Institut in Saarbrücken in Auftrag gegeben. Der Jurist warnt zwar einerseits vor einer Blockadehaltung der Europäer und den Folgen eines Handelskrieges. Andererseits meint er, die EU hätte trotzdem legale Abwehrmittel: Die USA und Kanada machten vor, wie man mit einer Einzelfall-Überprüfung von Sektoren oder Firmen in China und deren marktwirtschaftlichem Verhalten die eigene Industrie vor Dumping und anderen unfairen Methoden schützen könne.

Der Handelsexperte der Grünen plädiert für eine Lösung nach diesem Vorbild. Die EU müsse jetzt schnell auf die Bedenken einiger Regierungen und der Industrie reagieren:"China ist keine Marktwirtschaft", sagt auch er und ergänzt, im Rahmen der WTO-Regeln könnten sich die Europäer noch wehren. Der Ball liege im Feld der Mitgliedsländer. Sie hätten bald 15 Jahre verstreichen lassen und müssten jetzt aufwachen. Das Europaparlament hat übrigens in dieser Frage eine Blockademöglichkeit: Es könnte notfalls die Änderung des EU-Gesetzes mit der Liste der Nicht-Marktwirtschaftsländer verweigern, denn dabei ist die Zustimmung der Abgeordneten erforderlich.