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Politik

Hilfslose Zeichen der Uneinigkeit

15. Dezember 2016

Das Treffen der Staats- und Regierungschefs soll Entschlossenheit signalisieren. Doch der erste Eindruck ist eher das Gegenteil. Christoph Hasselbach berichtet aus Brüssel.

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EU-Gipfel in Brüssel
Bild: picture-alliance/dpa/O. Hoslet

Keine endlosen Diskussionen bis tief in die Nacht ohne greifbare Ergebnisse, stattdessen ein straffes Programm mit möglichst viel Einigkeit, das ist die neue Leitlinie. Die EU soll Handlungsfähigkeit beweisen. Deshalb hat Ratspräsident Donald Tusk den sonst auf zwei Tage verteilten Gipfel auf einen Tag zusammengestrichen.

Aber schon der anstehende Austritt Großbritanniens zeigt, dass von Zusammenhalt keine große Rede sein kann. Als Zeichen, dass Brexit wirklich Brexit bedeutet, hat Tusk die britische Premierministerin Theresa May vom gemeinsamen Abendessen ausgeschlossen. May nahm's bei ihrer Ankunft in Brüssel gelassen. Es sei "in Ordnung, dass sich die anderen Staats- und Regierungschefs auf diese Verhandlungen vorbereiten, so wie wir das auch tun". 

Die übrigen 27 sollen einen gemeinsamen Rahmen für die Austrittsverhandlungen festlegen. Der Kommission wird im vorbereiteten Abschlussdokument die Führung bei den Verhandlungen zugedacht. Das Europaparlament soll nur eine Nebenrolle spielen, was der scheidende Parlamentspräsident Martin Schulz mit der wütenden Bemerkung quittierte, dann werde das Parlament möglicherweise dem künftigen Vertrag über die Beziehungen mit Großbritannien nicht zustimmen. Nach wie vor wartet die EU aber erst einmal darauf, dass die Briten die Scheidung einreichen, davor soll es keinerlei Verhandlungen geben. May will das bis Ende März tun. Die 27 legen jedenfalls Wert darauf, dass Großbritannien nur dann Zugang zum Binnenmarkt behält, wenn es die Freizügigkeit von EU-Bürgern akzeptiert, während Großbritannien zwar den Marktzugang, gleichzeitig aber selbst über EU-Einwanderung bestimmen will. Für erheblichen Wirbel sorgte unterdessen die Äußerung des britischen EU-Botschafters Ivan Rogers, wonach der Verhandlungsprozess zehn Jahre dauern könnte - ein Albtraum für beide Seiten, der für erhebliche Unsicherheit sorgt.

Die Britische Premierministerin Theresa May im Gespräch mit ihrem irischen Kollegen Enda Kenny beim EU-Gipfel in Brüssel.
Theresa May (l.) ist vom gemeinsamen Abendessen ausgeschlossenBild: picture-alliance/AP Photo/G. Vanden Wijngaert

Beim Syrien-Konflikt sind die Europäer Zuschauer

Nach Brüssel ist Brita Hagi Hasan, der Bürgermeister von Ost-Aleppo, gekommen, und hat eindringlich über das Leid der Zivilbevölkerung gesprochen. "Bomben fallen wie Regen auf die Stadt. Stoppt das Töten, rettet die Kinder", rief er den Europäern zu. Ost-Aleppo befindet sich nach langem Bombardement mit starker russischer Unterstützung wieder in der Hand der syrischen Regierungstruppen. Doch die EU dürfte sich auf eine scharfe Verurteilung der Angriffe beschränken. Nicht einmal spezielle Sanktionen gegenüber Russland, die sich auf die russische Rolle im Syrien-Konflikt beziehen, sind vorgesehen. Die EU muss hier zusehen, wie ihre Forderung, ein Syrien ohne Assad, zunehmend wirklichkeitsfremd wirkt.

Syrien Bürgerkrieg Aleppo Luftangriffe
Der Syrien-Krieg belastet die EUBild: Reuters/M. Salman

Mit Russland hat auch das Thema Ukraine zu tun. Die Ukraine strebt eine engere Beziehung, nach Möglichkeit sogar eine EU-Mitgliedschaft an, während Russland das strikt ablehnt. Aber auch viele Europäer sehen das kritisch. In den Niederlanden haben die Wähler in einem Referendum das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine abgelehnt, offenbar aus Sorge, das Land werde bald EU-Mitglied werden. Das niederländische Votum hält bisher die Umsetzung des Abkommens auf. Beim Gipfel wollen die EU-Staaten versuchen, durch "Klarstellungen" deutlich zu machen, dass ein ukrainischer EU-Beitritt nicht ansteht, dass das Assoziierungsabkommen kein Niederlassungsrecht für ukrainische Bürger in der EU und auch keinerlei militärische Beistandspflicht bedeutet. Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte sagte, scheiterte die Ratifizierung des Abkommens, wäre das "das größte Geschenk für Wladimir Putin". Einheit gegenüber Russland sei entscheidend wichtig, meinte Rutte.

Afrika soll Migration nach Europa aufhalten

Bei einem Thema immerhin besteht weitgehend Einigkeit, nämlich bei der Migration - allerdings nur, solange es um deren Verhinderung geht. Ähnlich wie beim EU-Türkei-Abkommen versuchen die Europäer, afrikanische Herkunfts- und Transitländer für eine Zusammenarbeit zu gewinnen. Im Gegenzug für Geld und wirtschaftliche Unterstützung afrikanischer Länder sollen diese Migration nach Europa verhindern und zurückgeschickte Migranten zurücknehmen. Bundeskanzlerin Angela Merkel meinte bei ihrer Ankunft, "Entwicklung, Sicherheit und Kampf gegen Menschenschmuggel" müssten immer zusammengehen. Das klappt offenbar bereits ganz gut mit Niger, sagt die Kommission. Merkel hat sich in Brüssel auch mit dem Staatspräsidenten Nigers, Mamadou Issoufou, getroffen, um Einzelheiten zu besprechen. Niger spielt deswegen eine besondere Rolle, weil durch den Wüstenstaat besonders viele Migranten nach Libyen und von dort über das Mittelmeer nach Europa ziehen. Skeptiker befürchten aber, dass Schlepper andere Wege suchen werden, wenn der Weg durch Niger versperrt ist.

Der Name, der hier nirgendwo fällt, der aber in vielen Köpfen herumspukt, ist der von Donald Trump. Viele Europäer befürchten eine Abkehr des designierten amerikanischen Präsidenten von Europa. Deswegen sehen auch viele die Notwendigkeit, dass sie enger zusammenrücken. Mehr europäische Verteidigungsanstrengungen sind dafür ein Stichwort, das auch heute in Brüssel diskutiert wird.

Doch Europa zerbröselt gleichzeitig von innen. Die EU mag sich auf den 60. Jahrestag der Römischen Verträge im kommenden Jahr vorbereiten, die Zersetzung ist überall spürbar. Jeder der versammelten Staats- und Regierungschefs kann ein Lied aus seinem Heimatland von Europaskepsis, Rechtspopulismus und Elitenkritik singen, und manche Regierungen sind sogar Teil der Bewegung. Deshalb wird es dieser Gipfel schwer haben, ein Zeichen der Einheit zu setzen.