1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

EU ist geteilter Meinung über Haltung zur Türkei

Petra Kohnen 16. Dezember 2004

Das Thema gilt als heißes Eisen. Nun steht die Entscheidung bevor: Auf dem EU-Gipfel in Brüssel am Donnerstag und Freitag müssen sich die Regierungschefs festlegen, ob sie der Türkei Beitrittsverhandlungen anbieten.

https://p.dw.com/p/5zlB
Am Bosporus tut man viel, um in die EU zu gelangen - aber ist es auch genug?Bild: AP

Demokratische Reformen, eine bessere Achtung der Menschenrechte und die Abschaffung von Folter und Todesstrafe versprechen sich die Befürworter der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Religiöse und geographische Gründe führen die Gegner an: Der größte Teil der Türkei liege in Vorderasien und die Bevölkerung bestehe hauptsächlich aus Moslems, heißt es. Außerdem erweitere sich die EU ohnehin zu schnell.

Hier erhalten Sie weitere Informationen über Politik und Gesellschaft in der Türkei.

Besonders in Frankreich scheinen die Gegner der Türkei in der Mehrheit zu sein. In einer Umfrage sprachen sich dort 75 Prozent der Befragten gegen einen EU-Beitritt des Landes aus. Man macht sich Sorgen um die Größe des Beitrittskandidaten. Mit knapp 70 Millionen Einwohnern wäre das Land am Bosporus eines der bevölkerungsreichsten EU-Mitgliedsstaaten und in Paris fürchtet man einen zu großen Einfluss des muslimischen Landes.

Referendum in Frankreich

Ob sich Frankreich letztendlich für oder gegen einen Beitritt der Türkei in die EU aussprechen wird, darüber sollen die Franzosen per Referendum entscheiden. Das haben die Briten derzeit nicht vor. In England wird immer wieder betont, dass die Türkei bereits seit vierzig Jahren versucht, Mitglied der europäischen Familie zu werden. Und so wurde der Aufnahmewunsch der EU-Beitrittsverhandlungen von Premierminister Tony Blair bereits ausdrücklich begrüßt. Die EU sei in der Lage, auf der Basis der Beitrittsverhandlungen das Leben der türkischen Bevölkerung positiv zu beeinflussen. Ganz abgesehen davon, dass es auch im europäischen Interesse liege, einen moslemischen Staat zu haben, der die Menschenrechte achte und sich auch praktisch zur Demokratie bekenne. In dieser Hinsicht könne die Türkei eine Vorbildfunktion für andere moslemische Länder entwickeln. Die konservative Opposition steht einer Aufnahme der Türkei in die EU nach vollendeten erfolgreichen Beitrittsverhandlungen ebenfalls positiv gegenüber, wie Schatten-Außenminister Michael Ancram unlängst mitteilte.

In der Boulevardpresse geäußerte Befürchtungen, ein EU-Beitritt der Türkei würde Millionen Türken veranlassen, nach Großbritannien zu kommen, wurden sowohl von der Regierung als auch von der Opposition mit dem Hinweis zurückgewiesen, dass es eine lange Übergangsphase geben würde, bevor die EU-Freizügigkeit auch für die Türken gelten könnte.

Polen auf Seite der Türkei

In den neuen Mitgliedstaaten der Europäischen Union spielt das Für und Wider von Aufnahmegesprächen mit der Türkei eine nicht ganz so wichtige Rolle wie in den alten EU-Ländern, obwohl man auch hier die bekannten Argumente wieder finden kann. Die Regierungen von Ungarn, Tschechien, der Slowakei und Polen haben nichts dagegen, wenn mit dem südosteuropäischen Staat verhandelt wird.

Die Türkei ist weit weg von Polen, kann man in dem mitteleuropäischen Land hören. Mehr Interesse zeigen die Polen deshalb an den direkten Nachbarn wie der Ukraine oder Weißrussland. Außerdem ist der Staat erst seit einem halben Jahr Mitglied der Europäischen Union. So will es sich selbst zunächst als ein starkes Land innerhalb der EU positionieren. Dennoch steht die polnische Regierung dem EU-Beitritt der Türkei positiv gegenüber.

Petition in Tschechien

Der türkische Weg nach Europa steht auch in Tschechien nicht an erster Stelle der politischen Diskussion, dennoch wunderte sich die tschechische Regierung nicht schlecht, dass ihr grundsätzliches Ja zur Gesprächsbereitschaft heftige Reaktionen in der Bevölkerung zur Folge hatte. Eine Bürgerinitiative sammelte in der letzten Novemberwoche 3.400 Unterschriften gegen einen EU-Beitritt der Türkei und übergab diese als Petition der Regierung.

Die ungarisch-türkischen Beziehungen sind nicht ganz unbelastet, wenn die Probleme auch weit zurückliegen. Im 16. und 17. Jahrhundert litt Ungarn gute 150 Jahre unter türkischer Besatzung. Die Türken hingegen betrachten die Ungarn als Brudervolk, fast jedes türkische Schulkind weiß, dass die Ungarn das westlichste türkische Volk bilden.

Slowakei unentschieden

Auch für die Slowakei spielen historische Gründe eine wichtige Rolle. Die Türken leugnen - so die slowakischen Christdemokraten - bis heute den Genozid an den Armeniern im Jahr 1915. Wer sich öffentlich über den Völkermord äußere, dem anderthalb Millionen Armenier zum Opfer fielen, werde in der Türkei bestraft. Solange diese Geschehnisse nicht aufgearbeitet werden, wollen die slowakischen Christdemokraten keine Türken in der EU haben.

Da dieser Argumentation der Christdemokraten im Parlament Gehör geschenkt werden musste, fiel die Abstimmung über die Türkei/EU-Frage mit einem Kompromiss aus. Die slowakische Regierung wird in der Europäischen Union die Aufnahme der Beitrittsgespräche mit der Türkei unterstützen, zugleich aber auf den im Osmanischen Reich verübten Völkermord an den Armeniern hinweisen und diesen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilen.