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EU-Kehrtwende bei Biosprit?

Nicolas Martin13. September 2012

Die Debatte über Benzin aus Agrarrohstoffen ist in Europa angekommen. Die EU-Kommission will von ihrem Biosprit-Ziel abrücken. Umweltschützer sind zufrieden, die Biosprit-Lobby startet die Gegenoffensive.

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Autofahrer hält eine Zapfpistole (Foto: dapd)
Bild: dapd

Die EU-Kommission macht ernst. Nachdem bereits renommierte Institute wie Deutschlands Nationale Akademie der Wissenschaften (Leopoldina) auf der Basis von Recherchen dem Biosprit das Siegel "umweltschädlich" verpasst haben, legen Energiekommissar Günther Oettinger und Klimakommissarin Connie Hedegaard einen Entwurf vor, der die EU-Regelungen für Biokraftstoffe stark verändern könnte. Demnach soll der Anteil von Bioenergie im Verkehrssektor bis 2020 nur noch fünf Prozent betragen.

Zur Reduzierung der Umweltverschmutzung sind aktuell auf EU-Ebene aber noch zehn Prozent Biokraftstoffe im Tank vorgesehen. In diesen Anteil miteingerechnet wird aber auch Ökostrom, der wegen der ausbleibenden Elektroauto-Revolution jedoch nur einen geringen Teil ausmacht. So hatte die Bioenergielobby insgeheim bereits die vollen zehn Prozent für sich reserviert. Die Deckelung auf fünf Prozent wäre ein harter Schlag, sagt Stephan Arens, Geschäftsführers des Lobbyverbands der Union zur Förderung von Öl- und Proteinpflanzen (Ufop) mit Sitz in Berlin: "Mit einem Stillstand der jetzigen Produktionsmenge könnten wir nicht leben, da fehlt die Perspektive auch für Investitionen", so Arens im Gespräch mit der DW.

EU-Energiekommissar Oettinger bei einer Pressekonferenz auf der Tribühne. (Foto:dapd)
Energiekommissar Oettinger prescht mit dem Entwurf vorBild: dapd

Programmierter Konflikt

Deutschland liegt im Tempo beim Zehn-Prozent-Ziel weit vorn: Im April dieses Jahres wurde bereits die 6,25 Prozent-Marke durchbrochen. Agrarrohstoffe sind in Deutschland sowohl im herkömmlichen Diesel als auch im sogenannten Benzin E10 enthalten. Europaweit liegt die Gesamtbeimischung momentan bei vier Prozent. Deutschland müsste deshalb sogar zurückrudern, falls der Entwurf tatsächlich so umgesetzt würde.

Zwei Mädchen reiten mit ihren Pferden an einem Rapsfeld entlang (Foto: Patrick Pleul dpa/lbn/lsn/lth)
Die Produktion von Biokraftstoffen hat sich in Deutschland seit 2001 verhundertfachtBild: picture-alliance/dpa

Lobbyisten in Brüssel und Berlin arbeiten deshalb bereits auf Hochtouren: "Wir sehen die Verlässlichkeit der Biokraftstoffpolitik der EU massiv gefährdet", sagt Arens. Bei solchen Kurskorrekturen fehle es an Investitionssicherheit. Umweltverbände und Hilfsorganisationen hingegen begrüßen die Entscheidung: "Es ist wichtig und ein gutes Signal, dass die EU zeigt, dass sie lernfähig ist und auch Korrekturen vornehmen kann", meint Rafael Schneider, Referent für Ernährung bei der Welthungerhilfe im Interview mit der DW.

Vor allem die Dürren in den USA, Russland und anderen Teilen der Welt hatten die Biosprit-Debatte in Deutschland in den vergangenen Wochen befeuert. Entwicklungsexperten und Umweltschützer sehen einen klaren Zusammenhang zwischen der Biospritproduktion und steigenden Preisen für Grundnahrungsmittel. Weil große Anbauflächen zunehmend für die Produktion von Biokraftstoff benutzt werden, fehlten sie für die Ernährung. Hungerkatastrophen in Entwicklungsländern seien die Folge. Befürworter preisen die Biokraftstoffe hingegen als Wunderwaffe an - sie schützten das Klima, garantierten den Bauern ein sicheres Einkommen und machten außerdem unabhängiger vom Erdöl.

Reform noch tiefgreifender

Nach den vorläufigen Entwürfen der EU-Kommission haben sich die Positionen der Kritiker durchgesetzt, und die reichen weiter als die Deckelung auf fünf Prozent. So soll es ab 2020 keine Subventionen für Biokraftstoffe mehr geben, deren positive Klimabilanz nicht nachgewiesen ist. Aller Wahrscheinlichkeit nach gehören dazu alle Ölpflanzen wie Raps und Soja, sagt Lobbyist Arens. Das ist besonders schmerzhaft für die Bioenergie-Industrie, die bisher von hohen staatlichen Subventionen profitiert hat.

Porträt von Stephan Arens, Geschäftsführer der UFOP - Union zur Förderung von Oel- und Proteinpflanzen e.V. (Foto: UFOP)
Stephan Arens, Geschäftsführer des Lobbyverbands UfopBild: Anja Bosse-Bastian/UFOP

Und für die Bioenergie-Industrie könnte es noch dicker kommen - denn laut dem Papier sollen auch die sogenannten indirekten Landnutzungseffekte bei der Berechnung der Klimabilanz eine Rolle spielen. Damit reagiert die EU auf die Vorwürfe von Umweltschützern, dass durch den Anbau der Energiepflanzen eben auch klimafreundliche Weideflächen weichen müssen. Viele Energiepflanzen hätten damit eine negative Klimabilanz und wären in der europäischen Klimastrategie außen vor.

Todesstoß für E10?

Der in Deutschland 2010 eingeführte Biosprit E10 stünde nach dem Entwurf wieder auf dem Prüfstand. Doch wie eine eventuelle Quote von fünf Prozent erreicht wird, liegt im Ermessen der einzelnen Mitgliedsstaaten. Die würden sich wohl für den Biosprit mit der besten Klimabilanz entscheiden: "Da Ethanol aus Sicht der Kommission im Schnitt eine bessere Klimabilanz als Biodiesel aufweist, ist nicht abzusehen, dass E10 damit überflüssig wird", gibt Florian Schöne vom Naturschutzbund Deutschland (Nabu) im Gespräch mit der Nachrichtenagentur DPA zu bedenken.

Porträt von Rafael Schneider, Ernährungsexperte der Welthungerhilfe (Foto: Welthungerhilfe)
Rafael Schneider, Ernährungsexperte der WelthungerhilfeBild: Welthungerhilfe

Einen offiziellen Vorentwurf will die Kommission im Oktober präsentieren - danach müssen sowohl die EU-Staaten als auch das Parlament zustimmen. Das kann bis Ende 2013 dauern. Sowohl Umwelt- und Klimaverbände als auch Lobbyisten werden diese Zeit nutzen und alle Hebel in Bewegung setzen, um ihre Interessen in Brüssel und in Berlin geltend zu machen.