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EU-Parlamentarier fordern Abschaltung

6. April 2011

Im Europaparlament wird nach dem Unglück in Japan der Ruf nach Schließungen von potenziell gefährlichen Atomanlagen lauter. Mehrere Abgeordnete verlangten, Reaktoren abzuschalten, die bei Sicherheitstests durchfallen.

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Luftbild des Atomkraftwerks Philippsburg (Foto: dapd)
Das Atomkraftwerk Philippsburg ist schon vom Netz abgeklemmtBild: dapd

Unter dem Eindruck der Reaktorkatastrophe von Japan ist der Ruf im Europaparlament nach einheitlichen hohen Sicherheitsstandards in Europa von allen Seiten zu hören. EU-Energiekommissar Günther Oettinger hat mit den Mitgliedsstaaten einen freiwilligen sogenannten Stresstest für alle 143 Kernkraftwerke in der EU vereinbart. Doch er musste zunächst ein wenig die Erwartungen vieler Abgeordneter bremsen. Denn die Frage der Energiegewinnung ist Sache der Einzelstaaten. Und daher ist der Einfluss von Kommission und Parlament begrenzt.

Kommissar Günther Oettinger (Foto: DW-TV)
Kommissar Günther OettingerBild: DW-TV

Schon die letzten Tage hätten ergeben, dass die Mitgliedsstaaten ein Interesse daran haben, diese Kompetenz zu behalten, sagte Oettinger. Dies bedeute: "Die Entscheidung über Kernkraft auf die europäische Ebene zu ziehen, erscheint entlang der zuständigen Verträge und Rechtsgrundlagen derzeit nicht realistisch." Dagegen scheine ihm "der Sicherheitstest, an dem sich alle beteiligen sollen, mit dem Ziel höchster Standards der gemeinsame, kritische Nenner aller Mitgliedssaaten zu sein, egal, ob sie Kernkraft haben oder ob sie Kernkraft ablehnen.“

Skepsis gegenüber Stresstests

Längst nicht jeder im Parlament traut diesen Sicherheitsprüfungen. Schon das Wort Stresstest ist im Parlament vorbelastet, denn die Stresstests für Banken haben sich schon als unzulänglich erwiesen. Die niederländische Christdemokratin Corien Wortmann-Kool etwa forderte Oettinger auf, die Tests müssten glaubwürdig sein. "Wenn eine Atomanlage den Stresstest nicht gut durchsteht, sorgen Sie dann zusammen mit dem Rat dafür, dass der betreffende Staat sich verpflichtet, etwas zu unternehmen?" Dies könne auch bedeuten, eine Anlage stillzulegen, ein Kernkraftwerk endgültig zu schließen.

Rebecca Harms. Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europäischen Parlament
Rebecca Harms, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europäischen ParlamentBild: Heiner Kiesel

Noch viel misstrauischer gegenüber Sicherheitstests durch die nationalen Atomaufsichtsbehörden sind die Grünen. Ihre Ko-Vorsitzende Rebecca Harms glaubt an ein abgekartetes Spiel: "Es werden samt und sonders die bekannten Pappenheimer sein, die sich gegenseitig bescheinigen, dass ihre Atomanlagen sicher waren, sicher sind und sicher sein werden." An die Adresse Oettingers gerichtet fragt die Abgeordnete weiter: "Oder glauben Sie im Ernst, dass die nationalen Aufsichtsbehörden jetzt plötzlich zu dem Ergebnis kommen werden, dass sie bisher schlechte Arbeit geleistet haben und zu tolerant waren?"

Deutsche Dominanz?

Oettinger hat in den Auseinandersetzungen der vergangenen Wochen bewiesen, dass er sich nicht leicht aus der Reserve locken lässt. Er selbst hat außerdem bekannt, er denke heute anders über Kernkraft als vor der japanischen Katastrophe. Doch in diesem Fall ging ihm die Grünen-Abgeordnete eindeutig zu weit, auch gerade als Deutsche. Oettinger: "Wir haben schon ein bisschen die Neigung, dass wir aus Deutschland Europa bestimmen wollen." Er rate dagegen, "in genügender Demut demokratische Prozesse in Polen und auch in Frankreich zu beachten und zu akzeptieren.“

Frankreich hat besonders viele Atomkraftwerke, hier das in Cattenom (Foto: AP)
Frankreich hat besonders viele Atomkraftwerke, hier das in CattenomBild: AP

Während Frankreich einen besonders hohen Anteil Atomstrom hat und gar nicht daran denkt, die Atompolitik infrage zu stellen, überlegt Polen, Kernkraftwerke zu bauen, auch um weg von der klimaschädlichen Kohle zu kommen. Der britische Konservative Giles Chichester war einer der wenigen Redner, dem die ganze kernkraftkritische Richtung nicht passt. Was in Japan geschehen sei, habe mit der Situation in Europa nichts zu tun, meinte er.

Europäische Sicherheitskultur

Ein Moratorium beim Bau neuer Kraftwerke lehne er ab. "Moderne Reaktoren werden jetzt so gebaut, dass sie den Risiken standhalten", betonte Chichester. Ein Moratorium wäre übereilt und ohne wissenschaftliche Grundlage. Der Parlamentarier machte klar: "Wir müssen erst herausfinden, was passiert ist, bevor wir darangehen, unsere schon jetzt beeindruckende Sicherheitskultur in Europa zu verändern."

Doch im Europaparlament hat mit dem japanischen Unglück ein großes Umdenken stattgefunden. Die grundsätzlichen Kritiker der Atomkraft finden sich jetzt in allen Parteien, und selbst bei den sonst eher kernkraftfreundlichen europäischen Christdemokraten und Sozialdemokraten fordern jetzt viele einen Ausstieg und einen forcierten Ausbau erneuerbarer Energien.

Autor: Christoph Hasselbach
Redaktion: Reinhard Kleber