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EU-Parlamentarier greifen Viktor Orban an

19. Januar 2011

Eigentlich ist es ein Routinetermin: Die Anhörung des neuen EU-Ratspräsidenten vor dem Europaparlament. Der Besuch des ungarischen Regierungschefs Orban eskalierte jedoch. Streitpunkt - das neue ungarische Mediengesetz.

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Ein EU-Parlamentarier mit zugeklebtem Mund (Foto: dapd)
Protest gegen das ungarische Mediengesetz im Europa-ParlamentBild: AP

Mehr als zwei Stunden lang hat sich Viktor Orban nicht aus der Ruhe bringen lassen. Er verzieht keine Miene, als sich einige Europa-Abgeordnete den Mund zukleben und Schilder mit der Aufschrift "Zensiert" in die Höhe halten. Er bleibt sogar ruhig, als der grüne Fraktionschef Daniel Cohn-Bendit ihn mit Venezuelas Staatschef Hugo Chavez vergleicht.

Orban stellte sich am Mittwoch (19.01.2011) dem Europa-Parlament in Straßburg als neuer EU-Ratspräsident vor. Über 30 Abgeordnete kommen zu Wort, der ungarische Ministerpräsident sitzt in der vordersten Reihe des Parlaments.

"Zum Kampf bereit"

Ministerpräsident Orban vor dem Europa-Parlament (Foto: dpa)
Regierungschef Orban erläutert seine Sicht der DingeBild: picture alliance/dpa

Erst bei Orbans Abschlussstatement zeigt sich, wie viel Wut sich bei ihm aufgestaut hat. Er sei "zum Kampf bereit", poltert Orban, wenn man Ungarns EU-Ratspräsidentschaft mit innenpolitischen Themen verknüpfe. "Ich lasse es nicht zu, dass das ungarische Volk beleidigt wird."

Ungarn stellt bis Mitte 2011 die EU-Ratspräsidentschaft. Der Besuch des Regierungschefs im Europa-Parlament ist eigentlich ein Routinetermin. Der Besucher stellt die Eckpfeiler und Ziele der Präsidentschaft vor, die EU-Abgeordneten können die Pläne kommentieren. Um die ungarischen EU-Ziele geht es am Mittwoch in Straßburg jedoch nur am Rande. Das neue ungarische Mediengesetz erregt die Gemüter der meisten Fraktionen.

"Ein einseitig besetzter Medienrat kontrolliert, was ausgewogene Berichterstattung ist. Das geht in der Europäischen Gemeinschaft nicht", sagt etwa der Fraktionschef der Sozialdemokraten im Europaparlament, Martin Schulz. Nach dem neuen Gesetz kann die ungarische Medienbehörde Strafen über Medien verhängen, wenn sie die Berichterstattung als "politisch unausgewogen" einstuft. Die Behörde und der ihr beigeordnete Medienrat setzen sich aus politisch handverlesenen Beamten und Funktionsträgern zusammen, die der Regierungspartei Fidesz angehören.

Ein kleines grünes Heftchen

Orbans Parlamentsbesuch zeigt, wie verkorkst Ungarns Start in die Ratspräsidentschaft ist. Der Regierungschef trägt am Anzug einen Anstecker. "Strong Europe" steht darauf, Orban will darüber sprechen, wie man die europäische Wirtschaft stärken kann. Er will sich für die Rechte der Roma einsetzen. Er erzählt von einer Ölpipeline von der Ostsee zum Mittelmeer. Doch kaum ein EU-Parlamentarier geht darauf ein.

Europa stehe vor der schwierigsten Zeit seit 20 Jahren, sagt Orban. Es sind dramatische Worte, die der Ungar wählt, doch sie verhallen unter den Diskussionen über das Mediengesetz.

Viktor Orban frustriert das. Aus seiner Sicht ist das Mediengesetz eine innenpolitische Angelegenheit, die auf dem EU-Parkett nichts zu suchen hat. Seine Mitarbeiter haben grüne Heftchen verteilt, die die Ziele der ungarischen Ratspräsidentschaft vorstellen. In Straßburg liest heute kaum jemand darin. Auch bei den Journalisten im Pressezentrum des Parlamentes ist das Heft nicht wirklich beliebt. Heute geht es um den Showdown, es geht um das Mediengesetz.

EU-Abgeordnete protestieren gegen die Zensur der Medien (Foto: AP)
Die EU-Parlamentarier setzen sich für Pressefreiheit einBild: AP

Fraktionskollegen nehmen Orban in Schutz

Nur die konservativen Abgeordneten verteidigen Orban. Seine Partei Fidesz gehört zur konservativen EVP-Fraktion. Der CDU-Abgeordnete Werner Langen spricht von einer "heuchlerischen und unerträglichen Kampagne". Das Gesetz sei mit denen in vielen anderen EU-Staaten vergleichbar.

Auch EU-Kommissionspräsident Barroso versucht vor dem Parlament die Wogen zu glätten. Zwar sei das Prinzip der Pressefreiheit in der EU heilig. Er vertraue jedoch darauf, dass Orban bereit sei, das Gesetz anzupassen. "Ich zweifle nicht an einer erfolgreichen Präsidentschaft Ungarns." Noch in dieser Woche will die EU-Kommission einen Brief an Ungarn verfassen und die kritischen Punkte des Gesetzes aufführen.

Der Nationalstolz des Viktor Orban

Nach der Sitzung im Parlament lädt Viktor Orban zu einer Pressekonferenz. Er bemüht sich um einen freundlichen Ton. Im Parlament hatte der Ministerpräsident auf Ungarisch gesprochen, jetzt spricht er in geschliffenem Englisch. Bei einem Politiker wie Orban ist dieser Sprachwechsel bemerkenswert.

Auch jetzt erzählt Orban von der Wirtschaft, von der Pipeline, von den Roma. Doch es hilft nichts: Die Journalisten wollen über das Mediengesetz sprechen. Ein österreichischer Journalist fragt, warum Orban am Ende der Parlamentssitzung so aggressiv gewesen sei.

"Ich habe die Pflicht mein Land zu verteidigen", sagt Orban und spricht wieder auf Ungarisch. An diesem Tag im Europaparlament geht es für den Ministerpräsidenten auch um den Stolz auf sein Land.

Autor: Benjamin Hammer, Straßburg
Redaktion: Susanne Eickenfonder