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Die EU sollte in der Mittelmeerpolitik einiges ändern

18. Januar 2011

Die EU will den demokratischen Wandel in Tunesien unterstützen. Die Deutsche Welle sprach mit der Europaabgeordneten Barbara Lochbihler (Grüne) über die notwendigen Schritte und vergangene Fehler.

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Barbara Lochbihler, grüne Europa-Abgeordnete
Barbara Lochbihler, grüne Europa-AbgeordneteBild: DW

DW-World.de: Frau Lochbihler, die EU-Kommission will die Demokratiebewegung, die friedliche Revolution in Tunesien unterstützen, das hört sich gut an, sind Sie jetzt zufrieden?

Barbara Lochbihler: Ja, wenn die EU das umsetzt und konsequent ist, dann gefällt mir das. Ich habe aber jetzt auch sehen müssen, dass in den letzten Jahren – wo es sehr viele Menschenrechtsverletzungen gab, die Opposition außer Landes getrieben wurde oder im Gefängnis sitzt – die gleichen Worte von der EU gesagt wurden und es wurde dann nicht konsequent gehandelt. Aber es ist jetzt natürlich ganz wichtig, dass die EU weiter ein guter Handelspartner von Tunesien bleibt. Über 70% der Importe und Exporte werden mit der EU abgewickelt und auch die Demonstranten fordern mehr Arbeitsplätze und soziale Sicherheit.

Aber natürlich kann der wirtschaftliche Wohlstand auch nur dann kommen, wenn gleichzeitig auch die politische Stabilität im Land existiert. Eine politische Stabilität, die den Namen verdient, dass die Menschen zivile und bürgerliche Rechte haben und dass es auch unterschiedliche politische Parteien gibt. Unser Rat von den Grünen an die EU-Kommission ist es, dass man sich jetzt zusammensetzt und innerhalb der EU-Institutionen eine Task Force bildet. Diese soll dann schauen welche finanziellen Instrumente die EU hat und wie diese jetzt eingesetzt werden, um z.B. freie und demokratische Wahlen vorzubereiten und eine verfassungsgebende Versammlung zu unterstützen. Zudem muss die EU sich auch für die Etablierung unabhängiger Nichtregierungsorganisationen einsetzen, dass diese zugelassen werden und dass es zur Freilassung kommt von denen, die aufgrund ihrer politischen Haltung und ihrer Menschenrechtsaktivitäten immer noch im Gefängnis sitzen.

Kann man absehen welches Gewicht die EU haben wird?

Ich glaube die Handelsbeziehungen haben ein sehr hohes Gewicht und das muss eingesetzt werden. Zudem gibt es auch ein großes Begehren Vieler in Tunesien, dass die EU mit ihrem Erfahrungswissen z.B. die Wahlorganisation unterstützt. An welches andere Gremium sollen sich die Tunesier denn sonst wenden? Es wäre sicher auch konsequent, wenn die EU z.B. das ganze Vermögen der Familie von Ben Ali einfriert, um zu zeigen, dass die EU wirklich bereit ist den Wandel zu unterstützen.

Gibt es denn aktuell schon irgendwelche Ansprechpartner für die EU-Kommission in Tunesien?

Es gibt eine EU-Botschaft, eine Delegation vor Ort, die werden sicher Kontakte zu den Behörden haben. Aber es gibt jetzt keine Person oder eine bestimmte Partei, die man da aussucht. Ich denke auch, dass das jetzt auch noch zu früh wäre. Man muss möglichst plurale Strukturen aufbauen und man kann nicht ausschliessen, dass nicht auch die Islamisten Parteien gründen und sich zur Wahl stellen. Und in so einer Situation, die jetzt noch sehr fragil ist, muss man natürlich auch darauf achten, dass es nicht zu mehr Gewalt kommt.

Bis vor kurzem hat ja die EU auch Tunesiens Regime Ben Ali unterstützt. Da gab es eine enge Zusammenarbeit bei der Flüchtlingspolitik z.B., bei der Mittelmeerpolitik und die EU war der wichtigste Handelspartner für Tunesien. War das alles falsch?

Der Handel ist grundsätzlich überhaupt nicht falsch, wenn er den Menschen auch zugute kommt. Aber man hat ja gesehen, dass trotz des großen Handels mit Tunesien es nicht zu mehr Wohlstand für Viele führte. Es gab eine sehr hohe Korruption in den Behörden und eben auch in der Familie des Präsidenten. Hier muss man jetzt darauf achten, dass nicht der gleiche Fehler noch mal gemacht wird. Das zweite große Thema, warum die EU sehr zögerlich bisher war an der Kritik gegenüber der tunesischen Regierung, ist, dass die Regierung als Garant für Stabilität galt. Sie bekämpfte den Terrorismus, und nahm sich heraus dies auch zu definieren. Damit unterdrückte die Regierung eben jegliche Kritik. Da darf die EU zukünftig nicht mehr ein Auge zudrücken. Und auch beim Umgang mit Flüchtlingen, die aus Schwarzafrika über Tunesien ans Mittelmeer kommen, ist eine ganz andere EU-Politik gefordert.

Nun sind ja auch die Nachbarstaaten von Tunesien nicht unbedingt lupenreine Demokratien, auch dort brodelt es und es gibt viel Unzufriedenheit. Was sollte denn die EU hier tun, was könnte sie vielleicht aus der Vergangenheit lernen?

Die EU hat ja verschiedene Ansätze, z.B. gibt es bilaterale Abkommen, dass man Menschenrechte stützt und schützt, da ist kein Mangel dran. Ein großes Defizit gibt es mit fast allen südlichen Mittelmeerländern, dass die EU beide Augen zudrückt und die Kritik zurückfährt. Wenn die Staaten wie Libyen, Marokko und Algerien versprechen, dass sie die Grenzen zur EU zu machen, dass sie die Flüchtlinge nicht mehr durchlassen, die man in Europa nicht haben möchte, dann werden diese Staaten nicht kritisiert, und das kritisieren wir innerhalb der EU sehr stark. Positiv ist, dass die EU, so gut sie kann, auch zivilgesellschaftliche menschenrechtliche Initiativen in den Staaten unterstützt oder auch Gewerkschafter oder Vertreter anderer zivilgesellschaftlicher Einrichtungen. Das ist positiv und das muss die EU auch weiterhin machen.

Glauben Sie denn, Tunesien war nur der Anfang, jetzt geht’s weiter in den anderen Maghreb-Staaten?

Es wäre natürlich wünschenswert. Aber jedes Land hat eine eigene Geschichte und eine andere Binnenstruktur, das kann man nicht verallgemeinern. Die Situation in Libyen ist sicher eine ganz andere. Ich hoffe, dass alle Gesellschaften da Fortschritte machen, dass sie eben mehr Rechte für ihre Bürger einfordern und einsetzen und sich auch wirtschaftlich entwickeln, damit die Menschen eine Perspektive und Arbeit haben.

Das Interview führte Tobias Oelmaier

Redaktion: Gero Rueter

Barbara Lochbihler ist Europaabgeordneten und Menschrechtsexpertin der Grünen Fraktion im Europaparlament. Zuvor, von 1999 bis 2009, war sie Generalsekretärin der deutschen Sektion von Amnesty International.