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EU-Komission stellt Entwicklungshilfe für Schwellenländer ein

8. Dezember 2011

Ab 2014 will die EU die Entwicklungshilfe für 19 Schwellenländer einstellen. Die Maßnahme trifft elf Staaten Lateinamerikas. Europa lasse hier die armen Teile der Bevölkerung im Stich, kritisieren Hilfsorganisationen.

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Ein Bäuerin bei der Reisernte in Indien (Foto: AP)
Indien wird in Zukunft keine Hilfe von der EU-Kommission mehr erhaltenBild: AP

In Zeiten knapper Kassen muss auch die EU-Kommission ihre Ausgaben auf den Prüfstand stellen. Bei der Vorstellung der Haushaltsvorschläge für die Außenpolitik der Jahre 2014 bis 2020 hat Entwicklungskommissar Andris Piebalgs am Mittwoch (07.12.2011) in Brüssel bekannt gegeben, dass mit insgesamt 19 Schwellenländern "neue Formen der Partnerschaften" gefunden werden sollen, da die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit mit diesen Staaten ab 2014 beendet wird. Betroffen von diesen Plänen sind Argentinien, Brasilien, Chile, China, Kolumbien, Costa Rica, Ecuador, Kasachstan, Indien, Indonesien, Iran, Malaysia, die Malediven, Mexiko, Panama, Peru, Thailand, Venezuela und Uruguay. Die Europäische Union solle "die Hilfe auf die ärmsten Länder konzentrieren", so Entwicklungskommissar Piebalgs in Brüssel.

Wirtschaftsdaten als Kriterium

EU-Entwicklungskommissar Andris Piebalgs (Foto: dpa)
EU-Entwicklungskommissar Andris PiebalgsBild: picture-alliance/ dpa

Die Auswahl der Länder habe sich an der OECD-Klassifikation orientiert, erläutert Catherine Ray, Pressesprecherin von Piebalgs im Interview mit DW-WORLD.DE die Auswahlkriterien. "Es handelt sich dabei um eine international anerkannte Klassifizierung. Wir kürzen die Entwicklungshilfe für alle Länder mit 'höherem mittlerem Einkommen', und das sind fast alles Schwellenländer." Die OECD fasst in dieser Kategorie Länder mit einer jährlichen Wirtschaftsleistung zwischen 3000 und 9400 Dollar pro Kopf zusammen. "Das zweite Kriterium", so Catherine Ray weiter, "waren Länder mit einem BIP, das um ein Prozent höher liegt als der Weltdurchschnitt. Diese Länder sind reich genug, um die Armutsbekämpfung mit eigenen Mitteln zu finanzieren. Es liegt jetzt bei ihnen zu entscheiden, welche Strategie sie anwenden, um den Armen zu helfen, die es nach wie vor in vielen dieser Länder gibt."

Hier setzt die Kritik von nicht-staatlichen und kirchlichen Entwicklungshilfeorganisationen an: Die Armen "werden alleine gelassen", sagt Michael Flacke vom Evangelischen Entwicklungsdienst eed. Zwar orientierten sich auch Nichtregierungsorganisationen an den OECD-Kriterien. Aber die alleine seien nicht ausreichend. Als Beispiel verweist Flacke auf China, "ein Land, das durchaus genug Geld hat, um seine Bevölkerung zu versorgen. Aber trotzdem leben dort zwanzig Millionen Menschen in absoluter Armut. Das ist in China kein großer Bevölkerungsanteil, und deshalb fehlt der politische Wille, daran etwas zu ändern." Darüber hinaus sagten wirtschaftliche Statistiken nichts über die Lage der Menschenrechte aus, so der eed-Sprecher weiter. "Gerade die Stärkung der Menschenrechte spielt aber eine zentrale Rolle in der Entwicklungszusammenarbeit", gibt Flacke zu bedenken.

"Entwicklungspolitik muss sich selbst überflüssig machen"

Euro-Bündel vor chinesischer Flagge mit EU-Sternen (Foto: DW-Montage/Bilderbox.de)
Braucht China Hilfe aus Europa oder die EU Unterstützung aus dem Reich der Mitte?Bild: Bilderbox.com/DW-Montage

"Es ist doch eine gute Nachricht, dass manche Länder keine Entwicklungshilfe mehr brauchen. Das genau ist das Ziel von Entwicklungshilfe: dass die Länder eines Tages in der Lage sind, ihre Probleme selbst zu lösen und ihre Politik selbst zu bestimmen", fasst Catherine Ray die Position der EU-Kommission zusammen. Dieser Sichtweise schließt sich auch Jorge Jurado, der Botschafter von Ecuador in Berlin, an. Er interpretiert die Aufkündigung der bilateralen Entwicklungshilfe durch die EU-Kommission als Bestätigung, dass "wir effektiv und erfolgreich an der Entwicklung unseres Landes arbeiten". Doch er gibt zu bedenken, dass die Entscheidung sehr kurzfristig gekommen ist. "Man hätte über längere Fristen verhandeln können. So hätte Ecuador noch länger von der Entwicklungszusammenarbeit profitieren können. Dann würde das Land noch stabiler auf eigenen Füßen stehen." Ecuador sei auf gutem Weg, betont Jurado, und verweist auf ein Wachstum von gut acht Prozent in diesem Jahr und einen durchschnittlichen Zuwachs von 4,5 Prozent seit 2006.

Der jüngste Bericht der Wirtschaftskommission der UN für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL) zur wirtschaftlichen Entwicklung in Lateinamerika bestätigt, dass Ecuador damit im Trend der Region liegt: 2010 ist die Zahl der in Armut lebenden Menschen in der Region demnach auf einen historischen Tiefstand gesunken. Seit 1990 ist der Anteil der Armen um 17 Prozentpunkte gesunken, von 48 auf heute 31 Prozent. In absoluten Zahlen bedeutet das einen Rückgang von 204 auf 177 Millionen. Für 2011 rechnet die CEPAL mit einer weiteren Reduzierung auf 174 Millionen bzw. 30,4 Prozent. Allerdings warnt die CEPAL bereits für 2012 vor einem allgemeinen Rückgang des Wirtschaftswachstums in Lateinamerika als Folge der Krise in Europa und den USA. Für das laufende Jahr sei noch ein Wachstum von 4,4 Prozent möglich, so die CEPAL-Generalsekretärin Alicia Bárcena kürzlich in La Paz. Doch 2012 werde es zu Engpässen bei den Finanzströmen, den Rücküberweisungen, Investitionen und im Handel kommen.

Der Dialog wird fortgesetzt

Skyline von Quito - Ecuador gilt als Schwellenland (Foto: J. Jimenez)
Skyline von Quito - Ecuador gilt als SchwellenlandBild: J. Jiménez

Das Ende der bilateralen Entwicklungshilfe sei nicht das Ende des Dialogs, betont Catherine Ray. "Wir werden auch weiterhin eng mit diesen Ländern zusammenarbeiten. Die großen Herausforderungen wie der Klimawandel, Sicherheitsfragen, der Kampf gegen Drogen und Menschenhandel betreffen uns alle gleichermaßen." In diesen Bereichen will die EU so genannte "neue Partnerschaften" mit den 19 Ländern begründen, in die ebenfalls Geld aus Brüssel fließen soll. "Wir sind davon überzeugt, dass diese Länder ausreichend entwickelt sind. Sie verfügen über Steuersysteme und eigene Finanzmittel und sie spielen seit einigen Jahren eine immer wichtigere Rolle auf der internationalen Bühne. Jetzt ist es an ihnen zu entscheiden, wie sie sich weiter entwickeln wollen." China und Brasilien hatten im Zusammenhang mit der Euro-Krise mehrfach angedeutet, dass sie unter bestimmten Bedingungen bereit wären, Europa zu helfen. Beide Länder erhalten derzeit noch Entwicklungshilfe aus dem Fonds der EU-Kommission.

Bis 2015 will die EU ihre Entwicklungshilfe auf 0,7 Prozent des Bruttonationalprodukts anheben. Menschenrechte, Demokratie und gute Regierungsführung sollen bei der Hilfe eine stärkere Bedeutung erhalten. Die EU ist der derzeit weltweit größte Geber von Entwicklungshilfe, und daran solle sich auch in Zukunft nichts ändern, so Andris Piebalgs bei der Vorstellung der neuen Maßnahmen in Brüssel. In dem Zeitraum von 2014 bis 2020 sollen demnach rund 57,5 Milliarden Euro für Entwicklungshilfe ausgegeben werden, das entspricht einer Steigerung des Etats um 38 Prozent im Vergleich zum den Jahren 2007 bis 2013. Gut 34 Milliarden Euro davon sollen Staaten in Afrika, der Karibik- und der Pazifik-Region zugute kommen. Die Vorschläge der Kommission müssen jetzt im Europaparlament und von den EU-Staaten im Ministerrat beraten werden. Mit Beschlüssen ist erst nach längeren Verhandlungen im Laufe des kommenden Jahres zu rechnen.

Autorin: Mirjam Gehrke
Redaktion: Michael Borgers