1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Kritik lässt die Türkei kalt

22. Juli 2016

Unter dem Ausnahmezustand gehen in der Türkei die Massenfestnahmen weiter. Mehr als 10.000 Menschen wurden inzwischen in Polizeigewahrsam genommen. Die Kritik der EU wird schärfer und stößt in Ankara auf Unverständnis.

https://p.dw.com/p/1JUAl
Festnahmewelle in der Türkei (Foto:
Bild: picture-alliance/abaca

Der Sprecher der konservativ-islamischen Regierungspartei AKP, Yasin Aktay, sagte in Ankara, die Kritik aus Europa an der Ausrufung des Ausnahmezustands sei nicht nachvollziehbar.

"In Frankreich und in Belgien gibt es zwei Fälle aus der jüngsten Vergangenheit, in denen jeweils nach Terrorangriffen zunächst für sechs Monate der Ausnahmezustand ausgerufen und danach um sechs Monate verlängert wurde." Obwohl die Türkei unter mehr Angriffen gelitten habe, habe sie bislang nicht zu der Maßnahme gegriffen, sagte Aktay nach Angaben der halbamtlichen Nachrichtenagentur Anadolu. "Dass wir es in diesem Fall getan haben, sollte vielmehr gelobt werden."

Mehr als 10.000 Festnahmen

Die Massenfestnahmen angeblicher und tatsächlicher Regierungsgegner gehen gleichzeitig weiter. Nach Angaben von Präsident Recep Tayyip Erdogan wurden inzwischen bei den andauernden Razzien 10.410 Verdächtige festgenommen. 4060 von ihnen seien in Untersuchungshaft genommen worden, zitierte Anadolu den Staatspräsidenten.

Der türkische Präsident Erdogan (Foto: Reuters)
Der türkische Präsident ErdoganBild: Reuters/U.Bektas

Wie AKP-Sprecher Aktay ergänzend mitteilte, handelt es sich bei den Festgenommenen um 7423 Soldaten, 287 Polizisten, 2014 Richter und Staatsanwälte sowie 686 weitere Zivilisten. Unter den festgenommenen Soldaten befinden sich demnach 162 Generäle - fast die Hälfte aller Generäle der zweitgrößten NATO-Armee. Gleichzeitig wurden zehntausende Mitarbeiter der Justiz, öffentlichen Verwaltung und des Bildungssektors entlassen.

Massive Kritik aus der EU

Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini und EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn zeigten sich besorgt über das harte Vorgehen Ankaras. Die türkische Regierung habe in Reaktion auf den versuchten Umsturz "inakzeptable Entscheidungen" zur Kontrolle des Erziehungswesens, der Justiz und der Medien getroffen, kritisieren sie in einer gemeinsamen Erklärung.

"Wir fordern die türkischen Behörden auf, unter allen Umständen die Rechtstaatlichkeit, die Menschenrechte und die grundlegenden Freiheiten einschließlich des Rechts auf ein gerechtes Gerichtsverfahren zu respektieren", schreiben Mogherini und Hahn.

Seehofer: Beitrittsgespräche stoppen

CSU-Chef Horst Seehofer forderte den sofortigen Abbruch der Verhandlungen über einen Beitritt der Türkei zur EU. Mit Blick auf rund 60.000 Staatsbedienstete, Dozenten oder Militärs, die suspendiert, verhaftet oder versetzt wurden, sagte der bayerische Ministerpräsudent den Zeitungen der Funke-Mediengruppe: "So handelt kein demokratischer Rechtsstaat."

Seehofer sprach sich zudem gegen eine vollständige Visafreiheit für türkische Staatsbürger in der EU aus. Dies würde dem Import innertürkischer Probleme nach Deutschland gleichkommen.

Grünen-Chef Cem Özdemir forderte derweil ein Programm für die Aufnahme von Türken, denen jetzt in ihrer Heimat politische Verfolgung droht. "Nach dem Flüchtlingsabkommen mit Ankara müsste die deutsche Regierung jetzt eigentlich ein Programm auflegen für Künstler, Journalisten und Wissenschaftler, das ihnen die Möglichkeit gibt, in Europa einen Platz zu finden", sagte Özdemir der "Stuttgarter Zeitung" und den "Stuttgarter Nachrichten".

wl/jj (dpa, afp, rtr, epd)