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Europäische Weicheier

Daniel Scheschkewitz6. Februar 2003

Als deutsches Eurowürstchen hat man es derzeit in Amerika nicht leicht. Wer immer von Anti-Amerikanismus redet, der hat noch nicht den Anti-Europäismus der Amerikaner zu spüren bekommen.

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Da war sie wieder die amerikanische Fahne, stolz und ohne falsche Scham hatte sie mein Nachbar gestern wieder aus seinem schmucken Häuschen im Washingtoner Stadtteil Georgetown gehängt. Dass sein Domizil nach dem alten König George von England, der damals noch Herrscher über die amerikanische Kolonien war, und nicht etwa nach George Washington, dem Gründungsvater der amerikanischen Nation benannt ist, habe ich meinem Nachbarn neulich mal beiläufig erklären müssen.

Doch das spielt dieser Tage keine Rolle mehr. Europa ist der alte Kontinent und macht sich durch seine Widerspenstigkeit in der Irakfrage von Tag zu Tag irrelevanter. Gut, damit kann, muss ich als Deutscher wohl leben. Schliesslich ist man schon froh, wenn man nicht mit den warmen Brüdern aus Frankreich verglichen wird. Auch das Franzosen sich bekanntlich nicht waschen, wie neulich unlängst in der Boulevardpresse zu lesen war, ficht mich nicht an.

Hochnäsige Europäer

Andererseits muss ich mir dafür gleich in doppelter Weise einen anderen Vorwurf gefallen lassen: Europa? Ist das nicht diese angeblich so hochstehende Zivilisation, die den Kommunismus, den Faschismus und den Nationalsozialismus hervorgebracht hat? Da ich auch nicht den Hauch eines Zweifels an der Entschlossenheit der Amerikaner habe, demnächst in den Krieg zu ziehen, gleichzeitig aber als Europäer gelernt habe, dass Krieg nur neuen Terrorismus hervorbringt, überprüfte ich neulich mal meine Lebensversicherung. Wie gut, dass meine Nachbarn das nicht mitkriegen.

Für sie leben wir (West)-Europäer ja doch in einem überversicherten Wohlfahrtsstaat, wo sich jeder gegen alle möglichen Risiken des Lebens abgesichert hat. Hatte Amerika etwa eine Versicherung gegen Pearl Harbor oder hat jemand schon mal gehört, dass man sich gegen Massenvernichtungswaffen versichern kann?

Patriotismus der Amerikaner

Ach ja, diese Selbstgewissheit, dieses Gefühl des Auserkoren-Seins. Das geht uns säkularisierten Europäern einfach ab. Aber wer von uns durfte in seiner Schulzeit auch schon allmorgendlich einen Treueschwur auf die Fahne ablegen? Amerikanische Schulkinder haben damit kein Problem – sie können vielleicht nicht Irak buchstabieren, das schwierige Wort Patriotismus aber schon.

Nicht nur das deutsch-amerikanische Beziehungsdrama spielt sich derzeit im Tiefkühlhaus ab - in Washington nähern sich die tatsächlichen Temperaturen gerade mal wieder dem Nullpunkt an. Mein Nachbar läuft trotzdem schon wieder in kurzen Hosen rum. Euro-Weichei scheint er mir mit seinem Blick zu sagen. Habe ich doch immer noch meine gefütterte Daunenjacke an. "Made in Korea" steht auf dem Wäscheschild. Hoffentlich hat das mein Nachbar nicht gesehen.