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Europäischer Flohzirkus

Alexander Kudascheff21. Februar 2007

Es ist ein schwieriger Trapezakt auf dem Hochseil: die deutsche Ratspräsidentschaft. Angela Merkel - und im EU-Alltag Außenminister Frank Walter Steinmeier - müssen 27 Positionen und Meinungen unter einen Hut bringen.

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Sie müssen einen vielfältigen Chor an Stimmen und auch Stimmungen zähmen - und auf das höchste Gut der Politik, den Kompromiss, runterbrechen. Sie agieren und chargieren also als Zirkusdirektoren in der Manege, als Dompteure eines politischen Flohzirkus. Und selbst eigentlich unumstrittene Dinge sind da nicht unumstritten. Jedenfalls nicht völlig.

Ein Beispiel: die Debatte - vernünftigerweise im Hintergrund und hinter verschlossenen Türen geführt - über die "Berliner Erklärung". Angela Merkel will am 25. März in Berlin 50 Jahre "römische Verträge", sagen wir es einfacher, 50 Jahre europäische Union würdigen. Natürlich will sie beschreiben, was erst die EWG, dann die EG und heute die EU den Bürgern gebracht hat. Frieden, Freiheit, Wohlstand. Soweit - sind wohl alle einig.

Was wird aus der Verfassung?

Aber was ist mit dem Euro? Kann Merkel ihn erwähnen - und wie verhalten sich Länder, die den Euro nicht wollen - wie England oder Schweden nach einer Volksabstimmung oder Dänemark? Da ist raffinierte Formulierungskunst gefragt. Und was ist mit Schengen (kontrollfreier Grenzverkehr), wo die Engländer bis jetzt nicht mitmachen? Was ist mit der europäischen Verteidigungspolitik - umstritten nicht nur in Dänemark?!

Gehen wir zum zweiten Bereich der "Berliner Erklärung", der sich mit den Herausforderungen der Union in der Zukunft befasst. Auch hier nur ein Beispiel: Der Weg zu einem neuen europäischen Verfassungsvertrag. Wie kommt man aus der Sackgasse des doppelten Neins der Franzosen und der Niederländer zur europäischen Verfassung heraus? Wie sieht ein Kompromiss aus zwischen den 18 Ländern, die Ja gesagt haben, den zwei, die Nein gesagt haben, und den sieben, die noch gar nichts gesagt haben, und unter denen mindestens vier Länder sind die eher Nein sagen werden ( Großbritannien, Polen, Tschechien und Dänemark)?

Was am alten Vertrag kann Bestand haben, was muss geändert werden? Da ist jetzt schon erkennbar, dass in Warschau und in London, in Prag wie in Kopenhagen anders gedacht wird als in Berlin - und zwar fundamental. Andererseits: Alle wissen, die EU braucht eine Geschäftsordnung, die vernünftige Arbeitsabläufe sicher stellt. Anders ist der Flohzirkus der 27 auf Dauer nicht zu zähmen.

Unsicherheit und Ungewissheit

Doch wie kommt man zu diesem europäischen Grundgesetz? Und wer soll es verabschieden? Die Parlamente oder die Bürger? Und welchen Wert haben im Moment Zusagen von - Tony Blair, einem Premier auf Abruf? Über Frankreich braucht man erst gar nicht zu sprechen, da dort erst nach den Wahlen klar sein kann, wohin der europäische Zug geht - und damit auch die deutsch-französische Achse.

Wohin man also schaut: europäische Unsicherheit und Ungewissheit. Dagegen setzt der Kommissionspräsident sein Europa der Projekte und der Ergebnisse - ganz auf Linie mit der deutschen Kanzlerin. In der Klimapolitik jedenfalls ist den Deutschen - auch wenn das Kleingedruckte noch geschrieben werden muss - ein erstaunlicher Durchbruch gelungen. Vielleicht gelingt das anderswo auch.