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Pötterings Fazit

10. Juli 2009

Zweieinhalb Jahre lang war Hans-Gert Pöttering Präsident des Europäischen Parlaments. Nun endete seine Amtszeit. Im Interview mit der Deutschen Welle zog er Bilanz.

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Hans-Gert Pöttering (Foto: dpa)
Der bisherige EU-Parlamentspräsident Hans-Gert PötteringBild: picture-alliance / dpa

Deutsche Welle: Herr Pöttering, welche Bilanz ziehen Sie nach Ihrer Zeit, welche positiven und negativen Höhepunkte hat es gegeben?

Hans-Gert Pöttering: Ich glaube, dass das zweieinhalb sehr erfolgreiche und gute Jahre waren. Wir haben im Dezember 2008 die Klimagesetzgebung verabschiedet im Europäischen Parlament, das war, glaube ich, das Wichtigste. Die Debatte über unseren Kampf gegen den Klimawandel hat ja im Wesentlichen begonnen während der deutschen Präsidentschaft mit Bundeskanzlerin Angela Merkel im März 2007. Wir haben unsere Gesetzgebung im Dezember 2008 unter französischer Präsidentschaft abgeschlossen. Und wir haben sehr eng mit den jeweiligen Präsidentschaften zusammen gearbeitet, so dass wir zum Abschluss unserer Gesetzgebung kommen konnten.

Herr Pöttering, das deutsche Bundesverfassungsgericht hat nun dem deutschen Parlament mehr Mitsprache aufgetragen, auch in europäischen Dingen. Sinngemäß kann man daraus auch ableiten, das nationale Parlament ist der eigentliche Ort der europäischen Gesetzgebung. Ist das nicht eine Abwertung des Europaparlamentes?

Zunächst einmal begrüße ich, dass das Bundesverfassungsgericht erklärt hat, dass der Vertrag von Lissabon mit der deutschen Verfassung vereinbar ist. Als verfassungwidrig oder nicht im Einklang mit unserem Grundgesetz erklärt hat das Verfassungsgericht das Begleitgesetz und gesagt, der Deutsche Bundestag müsse mehr Rechte haben im Rahmen der Wahrnehmung der deutschen Position in den europäischen Gremien. Dagegen ist im Prinzip nichts einzuwenden, aber die Formulierungen im Hinblick auf das Europäische Parlament können in keiner Weise unsere Zustimmung finden. Für mich ist eindeutig klar, dass das europäische Recht immer Vorrang haben muss vor dem nationalen Recht, aber ich sage ausdrücklich: Der Deutsche Bundestag hat seine Rolle wahrzunehmen im Verhältnis zur Kontrolle der Bundesregierung - das muss natürlich eine vernünftige Balance sein, die Bundesregierung muss handlungsfähig bleiben. Es ist schon richtig, dass in fundamentalen Fragen Bundestag und Bundesrat eine Rolle zu spielen haben. Aber es ist nicht angemessen, mit dieser gestärkten Rolle des nationalen Parlamentes die Rolle des Europäischen Parlamentes abzuwerten, wir ergänzen uns vielmehr. Die europäische Ebene, das Europäische Parlament und die nationalen Gesetzgeber ergänzen sich. Die Rolle des Bundestages ist bezogen auf den Ministerrat folgende: Er muss die Bundesregierung im Ministerrat kontrollieren. Das ist die richtige Balance. Ich habe eigentlich nicht verstanden, dass das Bundesverfassungsgericht sich gegenüber dem Europäischen Parlament so äußert, wie es das getan hat. Die Rechtseinheit gebietet es, dass das europäische Recht Vorrang vor dem nationalen Recht hat.

Im Moment findet eine Art Machtkampf zwischen dem Parlament und dem Rat in der Personalie Barroso statt. Sie selbst sind für ihn, aber ist das nicht grundsätzlich für Sie ein Grund zur Zufriedenheit, dass sich das Parlament den Zeitplan nicht vorschreiben lässt und seinen Einfluss geltend macht?

Wir haben ja gerade vor einigen Tagen die Debatte mit dem Ratspräsidenten Schwedens, Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt, in Stockholm gehabt und ich denke, dass die Wahl im September erfolgen kann. Was die Person angeht, ich persönlich bin nicht nur für die Stärkung und die Verteidigung der europäischen Institutionen, dazu gehört auch die Kommission, sondern José Manuel Barroso hat nach meiner Einschätzung in den vergangenen Jahren eine gute Arbeit geleistet. Er ist der Kandidat der Europäischen Volkspartei, also der Partei, die mit Abstand die größte Fraktion im Europäischen Parlament stellt. Und so entspricht es auch der Logik, dass die EVP den Präsidenten der Kommission stellt.

In Deutschland und auch anderswo wird eine Debatte geführt über die Frage, kann und soll Europa am Ende ein Bundesstaat sein. Wie ist Ihre Position dazu? Ist das ein Ziel?

Also diese abstrakten Debatten sind in der Sache nicht sehr weiterführend. Wenn man theoretische Erörterungen anstellt, mit Zielbestimmungen, schafft man sofort Konfrontation. Europa muss seine Antworten im Hinblick auf die konstitutionelle Form finden, im Hinblick auf Probleme, vor die wir gestellt sind. Die Europäische Union ist etwas eigener Art, ohne Vorbild in der Welt, etwas Einzigartiges. Es ist etwas Außergewöhnliches, dass 27 Völker Europas es schaffen, durch ein gemeinsames Parlament, durch den Ministerrat, durch den Europäischen Gerichtshof, durch die Kommission gemeinsame Gesetze zu formulieren und zu verabschieden. Das ist das historisch völlig Neue in Europa oder in der Europäischen Union mit jetzt 500 Millionen Menschen, dass wir die unterschiedlichen Meinungen, die ganz natürlich sind, mit den Mitteln des Rechtes und der politischen Diskussion aushandeln. Deswegen ist das Recht so wichtig, dass wir die Rechtseinheit wahren. Und deswegen müssen wir darauf bestehen, dass das europäische Recht Vorrang hat vor dem nationalen Recht. Würde das nationale Recht Vorrang haben, dann würde jeder tun, was er will, jedes Land der Europäischen Union würde sich das heraussuchen, was dem vermeintlichen nationalen Interesse entspricht. Deswegen ist es so wichtig, dass wir Rechtseinheit wahren, und das sind, wenn Sie so wollen, die bundesstaatliche Elemente. Aber ich möchte keine theoretische Diskussion führen, sondern sagen: wir müssen die Probleme lösen, vor die wir gestellt sind. Denken Sie an die Energiefrage: Vor wenigen Jahren hätten noch alle gesagt, das ist eine nationale Frage, heute wissen alle Verantwortlichen, dass wir das gemeinsam bewältigen müssen.

Abschließend eine Frage zu Ihrem Nachfolger Jerzy Buzek aus Polen: Was halten Sie von ihm? Wie wichtig ist die Tatsache, dass er aus einem der neuen Beitrittsländer kommt?

Er ist sozusagen das Symbol, dass wir jetzt zusammengehören. Jerzy Buzek wird der erste hohe Repräsentant aus den Ländern Mitteleuropas sein, die jetzt zur Europäischen Union gehören. Das ist ein großer Schritt nach vorn. Als ich bei der ersten Europawahl 1979 Mitglied des Europäischen Parlaments wurde, wenn mir damals jemand gesagt hätte, dass wir es erreichen, dass Polen wie die anderen osteuropäischen Länder Mitglied der Europäischen Union werden und dass wir im Jahr 2009 einen polnischen Parlamentspräsidenten haben, ich hätte aus der Perspektive 1979 gesagt: Das ist wunderbar, das ist ja wie die Verwirklichung eines Traumes. Und dass es nun Jerzy Buzek ist, finde ich wunderbar. Jerzy Buzek ist ein Freund seit vielen Jahren, er ist sozusagen auch ein Wunschnachfolger. Wir haben viele Gemeinsamkeiten in unserem Denken, und es ist wunderbar, dass er der Präsident des Europäischen Parlamentes wird. Ich wünsche ihm viel, viel Glück bei dieser wunderbaren Aufgabe.

Interview: Christoph Hasselbach