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Europäisches Wunder

Alexander Kudascheff31. Oktober 2002

Mit allem konnte man rechnen. Mit durchwachten Nächten, mit Marathonverhandlungen, mit dem Scheitern des Gipfels. Das einzige aber, womit niemand gerechnet hatte, das trat ein.

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Man einigte sich vor dem Gipfel bereits - im Luxus Hotel Conrad an der Brüsseler Avenue Louisa. Wie das? Die europäische Landwirtschaftspolitik ist ein Subventionen verschlingender Moloch. 45 Milliarden Euro werden Jahr für Jahr verteilt - für die Produktion, für den Verkauf, für die Lagerung, für die Vernichtung von Äpfeln, Birnen, Weizen, Zuckerrüben, Mais, Wein, Pflaumen, Oliven, Reis, Kartoffeln.

Ein paar Länder zahlen, die anderen kassieren, so heißt hier die Devise. Am meisten zahlt: Deutschland. Am meisten kassiert: Frankreich. Deswegen war vor dem Gipfel klar: will Deutschland nicht mehr so viel zahlen, dann kriegt Frankreich nicht mehr soviel - und das ist unmöglich, denn Frankreich wird niemals auf die Euro verzichten, von denen es glaubt, sie stehen ihm zu.

Durchbruch?

Doch wie macht man das denn: es kommen zehn neue Mitglieder, wollen am selben Kuchen mitessen, doch sie bekommen nichts ab - bestenfalls Krümel. Scheitert also die Erweiterung der EU, weil Frankreich auf zuviel Subventionen beharrt - und Deutschland nicht bereit ist, noch mehr zu zahlen?

So schien es. Und dann, ein europäisches Wunder. Schröder und Chirac, die sich sonst nicht immer wohlgesonnen sind (gelegentlich spottet der deutsche Kanzler: mein Freund Jacques kommt besser mit meiner Frau aus als mit mir), arrangierten sich. Zumindest im Generellen. Die Details wurden dann auf dem Gipfel noch einmal beharkt - bis der Gipfel fast zu platzen drohte, aber Ende gut, alles Gut.

Die Erweiterung scheitert nicht am kleinlichen Gezänk der "Alteuropäer" über Rosinen und Sultaninen. Der Gipfel in Kopenhagen kann der erhoffte Erfolg werden. Und gleichzeitig legt der Expräsident Giscard d'Estaing den ersten Verfassungsentwurf der EU vor - noch als Skizze, aber immerhin. Darüber kann man sich nun streiten, um zu sehen, wohin sich die EU im 21. Jahrhundert entwickelt. Fazit: Der europäische Tanker nimmt wieder Fahrt auf.