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Europa AG im Aufwind?

Martin Schrader13. Oktober 2005

Jahrzehnte hatte es gedauert, bis die Europa AG zum Leben erweckt wurde. Dann schien es so, als sei sie ein ungeliebtes Kind. Nun stößt sie bei der Allianz und bei SAP auf Interesse. Doch Gewerkschafter wittern Gefahr.

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Bild: dpa

Mehr als 30 Jahre dauerte es, bis in der EU Einigkeit über eine gemeinsame Gesellschaftsform für große Unternehmen erzielt wurde. Wie schwer diese Geburt war, zeigte auch, dass man für das Baby keinen Namen in einer lebenden EU-Sprache finden konnte, wie zum Beispiel beim "Euro". Stattdessen erhielt es den lateinischen Namen Societas Europaea (SE), also "Europa Gesellschaft". In Deutschland wird das mittlerweile frei übersetzt mit "Europa AG".

Als der Kraftakt Ende 2004 endlich vollbracht war, erfreute sich die Europa AG in den Konzernzentralen jedoch geringer Zuneigung. Lediglich in Österreich schlüpfte der Baukonzern Strabag in die neue Rechtsform. Diese mangelnde Resonanz kündigte in den Augen vieler Wirtschaftsbeobachter das Scheitern des Projekts "SE" an.

Frage der Philosophie und der Kosten

SAP Produkte
SAP will mit der SE sein globales Image festigenBild: SAP

Das Blatt könnte sich nun wenden. Nachdem die Allianz AG als erster Großkonzern im September den Wandel zur Europa AG angekündigt hatte, prüfen weitere große Unternehmen einen Wechsel zur SE. Darunter ist auch der weltweit operierende Software-Konzern SAP mit Sitz in Walldorf. "Wir möchten als globales Unternehmen gesehen werden", sagt Unternehmenssprecher Herbert Heitmann im Gespräch mit DW-WORLD. "Für uns ist deshalb jede Möglichkeit willkommen, uns auf internationaler Ebene einfacher aufzustellen." Dazu könnte seiner Ansicht nach auch die Europa AG gehören, weshalb der Konzern einen Wandel erwäge.

Der österreichische Wirtschaftsjurist Tibor Varga von der Wiener Kanzlei Dorda Brugger Jordis meint, dass vor allem Kostengründe den Antrieb zu einem Wechsel der Rechtsform geben würden. "Das Ganze ist eine Effizienzfrage", sagt er. "Durch die einheitliche Rechtsstruktur sollen sich geringere Verwaltungs- und Rechtskosten und einfachere Umstrukturierungsmöglichkeiten ergeben." Auch SAP-Sprecher Heitmann sagt, dass eine internationale Unternehmensphilosophie allein nicht Grund genug sein könne für einen Wandel der Rechtsform. Da gebe es auch andere Möglichkeiten, um diese zum Ausdruck zu bringen.

Streit mit Gewerkschaftern

Bauarbeiter arbeiten auf einer Baustelle
Die Strabag Bauholding ist seit Ende 2004 eine Europa AGBild: dpa - Bildfunk

Vor dem Spar-Effekt führt ein Wandel zur SE freilich zuerst zu neuen Kosten, weil Juristen und Finanzabteilungen mögliche Auswirkungen prüfen müssen. Selbst danach kann es Fallstricke geben, wie das Beispiel Strabag zeigt. Der Konzern beschäftigt viele Mitarbeiter in Deutschland, die nach Meinung von Gewerkschaftern nicht ausreichend im Betriebsrat der neuen SE vertreten sind. Die SE-Richtlinien ermöglichen jedoch die Beteiligung ausländischer Arbeitnehmervertreter. Die deutsche Baugewerkschaft IG Bau klagte deshalb gegen die Umwandlung der Strabag zur SE. Mittlerweile ist die Klage ausgesetzt, weil Gewerkschaft und Unternehmensleitung versuchen, sich gütlich zu einigen.

Für Gewerkschafter steht viel auf dem Spiel. In Deutschland gibt es die Pflicht zur paritätischen Mitbestimmung von Arbeitnehmern in Unternehmen. Sie verhilft ihren Vertretern - zumeist auch Gewerkschaftsmitglieder - zu Mandaten in den Aufsichtsräten. Nach Zahlen des Deutschen Gewerkschaftsbundes gibt es 746 Unternehmen, die der Mitbestimmungspflicht unterliegen. Jeder Aufsichtsrat ist mit zwölf bis 20 Mitgliedern besetzt, die Hälfte davon Arbeitnehmervertreter. Bei einer Umwandlung in eine Europa AG ist es dem Unternehmen freigestellt, das deutsche Modell mit Vorstand und Aufsichtsrat zu übernehmen oder durch eine Konzernführung nach angelsächsischem Vorbild zu ersetzen. Dabei werden die beiden Gremien durch eines ersetzt: den Verwaltungsrat. Der Aufsichtsrat fiele weg und mit ihm Tausende gut dotierter Posten.

Mitbestimmung als Herausforderung

Der DGB sieht nach den Worten seines Vorstandsmitglieds Dietmar Hexel sowohl Chancen also auch Risiken in der neuen Gesellschaftsform. Einerseits biete die SE die Möglichkeit, ausländische Arbeitnehmervertreter in deutsche Aufsichtsräte zu holen sowie Deutsche in Aufsichtsräten im EU-Ausland zu platzieren. "Das kann im konkreten Fall ein schwieriger Prozess sein, der auch zu einer Verringerung deutscher Arbeitnehmervertreter im obersten Unternehmensorgan führt", erklärte Hexel gegenüber DW-WORLD. "Umso wichtiger ist es, dass die Aufsichtsräte bei einer Umwandlung zu einer SE nicht kleiner werden, damit die vielen unterschiedlichen Sichtweisen und Kulturen repräsentiert werden können."

Verdi- Streik
Verdi-Streik: Gewerkschaften fürchten Verlust von MitbestimmungsrechtenBild: AP

Genau diese Verkleinerung strebt die Allianz an. Die Gewerkschaft Verdi ist zwar dem grundsätzlichen Vorhaben des Versicherungskonzerns freundlich gesonnen. Widerspruch gibt es jedoch in der Frage der Stärke des zukünftigen Aufsichtsrates. Während die Allianz-Führung zwölf Mitglieder anstrebt, schlägt Verdi 18 Aufsichtsratsposten vor. Unvorstellbar wäre wohl, dass die Gewerkschaft einer Abschaffung des Rats zustimmen würde.

Weil Arbeitnehmervertreter ein Veto gegen den Wandel zur SE einlegen können, hält der Jurist Varga die Regelung der Mitarbeiterbeteiligung für eines der großen Hindernisse beim Wechsel der Firmierung. "In Deutschland haben Sie ein hohes Maß an Mitarbeiterbeteiligung. Das sieht in anderen Ländern ganz anders aus", warnt er. "Eine Harmonisierung dürfte hier ein ganz schwieriger Prozess werden."