1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

EU-Reform steht

19. Oktober 2007

Nach zähem Ringen haben sich die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union in Lissabon auf einen neuen Vertragstext verständigt. Polen und Italien konnten Sonderwünsche durchsetzen.

https://p.dw.com/p/BsQU
Grund zur Freude: Portugals Premier und EU-Ratspräsident Jose Socrates und Bundeskanzlerin Angela Merkel in Lissabon (Quelle: AP)
Grund zur Freude: Portugals Premier und EU-Ratspräsident Jose Socrates und Bundeskanzlerin Angela Merkel in LissabonBild: AP

Die europäischen Staats- und Regierungschefs haben den Vertrag zur Reform der EU angenommen und damit die seit mehr als zwei Jahren andauernde Krise beendet. Auf dem EU-Gipfel in Lissabon segneten die Teilnehmer in der Nacht zum Freitag (19.10.2007) einstimmig das Vertragswerk ab, das die EU demokratischer und effizienter machen soll.

Bundeskanzlerin Angela Merkel bezeichnete die Einigung als großen Erfolg. Sie kündigte an, dass das Dokument am 13. Dezember unterzeichnet werden soll. Der portugiesische Regierungschef und EU-Ratspräsident José Socrates sagte, nun habe die EU "ihre institutionelle Krise überwunden". Der britische Premierminister Gordon Brown betonte, nach der Annahme des Vertrages sei es nun "für Europa an der Zeit voranzuschreiten".

Polen erzielt nur Teilerfolg

Polens Präsident Lech Kaczynski, Quelle: AP
Eigenwillige Interpretationen: Polens Präsident Lech Kaczynski in LissabonBild: AP

Auch Polen zeigte sich zufrieden. Warschau erzielte in Lissabon allerdings nur einen Teilerfolg: Die so genannte Ioannina-Klausel wird lediglich in eine Erklärung zum Vertrag aufgenommen und nicht - wie von Warschau gefordert - Bestandteil des Vertrags. Andererseits sicherten die EU-Partner Polen zu, dass die Klausel nur einstimmig geändert werden kann. Ioannina ermöglicht es einer Minderheit von Staaten, bei knappen Mehrheitsbeschlüssen im Ministerrat neue Verhandlungen zu erzwingen. Zudem soll Polen nun einen Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof erhalten.

Auch der italienische Ministerpräsident Romano Prodi setzte sich durch: Italien bekommt einen Sitz mehr im Europaparlament, als es die Neuverteilung der Mandate ursprünglich vorsah. Demnach kommt Italien künftig wie Großbritannien auf 73 Sitze, Frankreich auf 74. Die Zahl der Mandate wird im Reformvertrag von 785 auf 750 verringert. Um diese Obergrenze durch das Zugeständnis an Italien nicht zu überschreiten, soll der EU-Parlamentspräsident auf sein Stimmrecht verzichten.

Neue Sonderwünsche

Kaczynski deutete an, dass Polen bei der Regelung der Sitzverteilung im Dezember Nachforderungen stellen könnte. Die bisherigen Pläne, nach denen sein Land 51 Mandate erhalten soll, seien "nicht zufrieden stellend". Auch hinsichtlich der Einigung zu den Abstimmungsverfahren in der EU vertrat er eine eigenwillige Interpretation. Nach seiner Auffassung könnte eine Minderheit von Staaten Entscheidungen in Einzelfällen um "mehrere Jahre" verzögern. Aus Diplomatenkreisen verlautete indes, ein solcher Fall sei kaum vorstellbar.

Abschlussfoto für das Familienalbum: die Staats- und Regierungschefs in Lissabon (Quelle: AP)
Abschlussfoto für das Familienalbum: die Staats- und RegierungschefsBild: AP

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier sprach sich in Lissabon für eine rasche Ratifizierung aus. Kanzlerin Merkel zeigte sich zuversichtlich, dass der Vertrag bis zur Europawahl 2009 in Kraft sein werde. Für das Ratifizierungsverfahren bestehe eine "sehr viel höhere Sicherheit als vorher". Die EU-Verfassung war 2005 am Nein der Franzosen und Niederländer gescheitert.

Großbritannien verzichtet auf Referendum

In Lissabon versicherte der britische Premierminister Gordon Brown am Donnerstag, dass er den Vertrag dem Volk nicht zur Abstimmung vorlegen werde. Außer Irland, das laut Verfassung ein Referendum abhalten müsse, werde dies auch kein anderes EU-Land tun. Brown brachte seinen Vorgänger Tony Blair als Kandidat für das Amt des künftigen EU-Ratspräsidenten ins Spiel. Er soll gemäß dem Reformvertrag für zweieinhalb Jahre berufen werden und keiner Regierung angehören. Bislang wechseln sich die Staats- und Regierungschefs alle sechs Monate auf diesem Posten ab.

Der EU-Reformvertrag soll die auf 27 Mitglieder gewachsene Gemeinschaft auf eine neue Grundlage stellen. Durch den neuen Vertrag werden EU-Beschlüsse erleichtert, indem in vielen Fällen der Zwang zur Einstimmigkeit wegfällt. Zudem erhält die EU neben dem ständigen Ratspräsidenten einen Hohen Repräsentanten für die Außenpolitik. (tos)