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Obama-Reise

22. Mai 2011

Zwei Jahre nach dem ersten Europa-Besuch von Präsident Obama bleiben die transatlantischen Beziehungen stark, erklärt Politik-Experte Joseph Nye im DW-Interview. Der Aufstieg neuer Staaten sei keine Gefahr.

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US-amerikanische Politiker Joseph S. Nye (Foto: dapd)
Vordenker und Politik-Experte Jospeh NyeBild: AP

DW-WORLD.DE: Am Montag (23.05.2011) beginnt die Europa-Reise von US-Präsident Barack Obama. Er wird Polen, Großbritannien, Irland und Frankreich besuchen, fast genau zwei Jahre nach seiner ersten Europa-Visite als Präsident im Mai 2009. Wie haben sich die transatlantischen Beziehungen in den ersten zwei Jahren von Obamas Amtszeit entwickelt?

Joseph Nye: Meiner Meinung nach sind sie stark geblieben. Es ist richtig, dass die Vereinigten Staaten, wenn man schaut wer die meiste Aufmerksamkeit bekommt, sehr durch den Nahen Osten und Asien abgelenkt wurden. Aber wenn man sich fragt, wer ist uns am nächsten in Bezug auf Freundschaft, Investitionen und tiefgehende Interessen, dann bleibt das weiterhin Europa.

Sie sind seit langem ein Mitglied der außenpolitischen Elite der USA. Wie betrachtet man Europa derzeit im politischen Washington und wie hat sich die Sichtweise auf Europa in den vergangenen Jahren gewandelt?

Ich glaube, dass Europa weniger Aufmerksamkeit bekommt, aber das kann in mancher Hinsicht auch ein Glück im Unglück sein. Hillary Clintons Postfach ist voll mit Dingen, die sich um den Nahen Osten drehen. Aber nicht weil wir den Nahen Osten so toll finden, sondern weil es dort Probleme gibt. In diesem Sinne gab es vor zehn oder sogar vor fünf Jahren mehr Aufmerksamkeit der außenpolitischen Elite für Europa. Jetzt gibt es weniger Aufmerksamkeit, aber das bedeutet nicht, dass Europa weniger wichtig ist. Es bedeutet, dass Europa weniger Dringlichkeit besitzt.

Eine Dauerklage jeder US-Regierung ist das Europa außenpolitisch nicht mit einer Stimme spricht und deshalb sein politisches Gewicht außer in Wirtschaftsbelangen nicht nutzt. Aus amerikanischer Sicht, haben die Änderungen im Außenpolitik-Bereich der EU daran etwas geändert oder gilt Libyen als neuer Beweis, dass die EU ein wirtschaftlicher Riese, aber ein politischer Zwerg ist?

Meiner Ansicht nach ist der neue gemeinsame diplomatische Dienst für Europa immer noch damit beschäftigt sich aufzustellen. Deshalb glaube ich nicht, dass US-Regierungsmitglieder sagen würden, sie hätten deswegen eine große Veränderung bemerkt. Aber ich glaube, die Amerikaner schätzten sehr wohl, dass Großbritannien und Frankreich und andere die Führung bezüglich des Libyen-Einsatzes übernommen haben. Es war vielleicht nicht ein offizieller Einsatz der Europäischen Union, aber es war ein Einsatz der Europäer. Und ich glaube, dass wurde sehr geschätzt.

Die Atlantiker in den USA und Europa bedauern in regelmäßigen Abständen, dass die amerikanisch-europäischen Beziehungen nicht mehr so eng und stabil sind wie früher, und dass beide Partner ihren Blick eher auf neue Partnerschaften in Asien richten, als sich auf die Verbesserung der alten Bande über den Atlantik zu kümmern. Haben Sie Recht und ist dies eine Gefahr für die Zukunft?

Jein. In meinem neuen Buch "Die Zukunft der Macht" lege ich dar, dass derzeit zwei große Machtwechsel auf der Welt stattfinden. Ein wirtschaftlicher Wechsel von Westen nach Osten. Der andere ist ein Wechsel weg von allen Regierungen im Westen oder Osten hin zu regierungsunabhängigen Akteuren. Und als Teil dieses ersten Wandels, der Bewegung von Westen nach Osten, ist es nur natürlich für Europäer und Amerikaner den asiatischen Märkten mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

Beim zweiten Wandel jedoch, der transnationale Aktionen betrifft - also alles von Finanzflüssen über den Terrorismus und Klimawandel bis hin zu Pandemien - müssen die USA und Europa zusammenarbeiten. Es ist außerdem wichtig darauf hinzuweisen, dass wenn Europa als eine Einheit agiert, wie es das beispielsweise im Wirtschaftsbereich macht, dass Europas Wirtschaft immer noch größer ist als die der Vereinigten Staaten und natürlich auch Chinas.

Was würden Sie Europäern und der EU empfehlen, um ihren Einfluss in nicht-wirtschaftlichen Belangen zu steigern?

Die Fähigkeiten mit den Amerikanern zusammenzuarbeiten ist das Eine. Das Andere ist in Kapazitäten zu investieren. Wenn es zu große Kürzungen der Entwicklungshilfeetats gibt, verringert das die Kapazitäten Europas. Das bedeutet, dass es Dinge gibt, die Europa tun kann, um sicherzustellen, dass es die Ressourcen hat, um der Partner zu sein, den die USA brauchen.

Viele Politikexperten sind der Ansicht, dass der Aufstieg Chinas und anderer BRIC-Staaten dazu führt, dass die transatlantische Einigkeit alleine nicht mehr ausreicht, um ein gewünschtes Ergebnis auf globaler Ebene durchzusetzen. Stimmen Sie dem zu? Was bedeutet das für das europäisch-amerikanische Verhältnis?

Der Aufstieg von Ländern wie China, Indien und Brasilien bedeutet, dass wir sie in die Entscheidungsprozesse einbeziehen müssen und genau das ist ja mit der Erweiterung der G8 auf die G20 auch passiert. Beide, die Europäer und die Amerikaner, werden mit diesen aufstrebenden Mächten zusammenarbeiten müssen.

Dennoch lohnt es daran zu erinnern, dass Amerikaner und Europäer mehr Macht haben als diese anderen Länder. Man sollte nicht die Wachtumsraten mit der Gesamtgröße verwechseln. In diesem Sinne müssen wir dabei helfen sie in das System zu integrieren. Aber es ist ebenso richtig, dass Europäer und Amerikaner immer noch über die meisten Kapazitäten verfügen.

Joseph Nye ist einer der weltweit einflussreichsten Denker im Bereich der Internationalen Beziehungen. Derzeit lehrt er als Distinguished Service Professor an der Harvard University. Nye gilt als Begründer der Theorie der Soft und Smart Power. Von 1994 bis 1995 war er Staatssekretär für Verteidigung unter Präsident Bill Clinton. Nye hat zahlreiche Bücher verfasst. Sein letztes Werk mit dem Titel "The Future of Power" erschien Anfang des Jahres.

Interview: Michael Knigge
Redaktion: Rob Mudge