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Europa braucht einen neuen Motor

Gérard Foussier7. Juli 2005

Sowohl in Frankreich als auch in Deutschland mehren sich die Stimmen gegen eine Sonderrolle von Paris und Berlin in Europa. Das muss aber nicht das Ende der privilegierten Partnerschaft bedeuten, meint Gérard Foussier.

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Keine Frage - die deutsch-französische Freundschaft, durch ein historisches Versöhnungswerk - den Elysée-Vertrag - 1963 besiegelt, nimmt in letzter Zeit romantische Züge an. Wer, vor allem bei der Jugend, spricht noch von Aussöhnung? Wer zählt schon die Erbfeindschaft früherer Jahrhunderte zu seinem Wortschatz? Wer kann heute sagen, warum nur diese beiden Länder eine besondere Rolle unter den 25 EU-Mitgliedern spielen sollten?

Ohne Worte

Seit vielen Jahren schon suchen die Politiker Frankreichs und Deutschlands nach neuen Begriffen, um die Machtlosigkeit ihrer Allianz zu verdecken: Von einer Achse mag keiner sprechen, weil der Begriff historisch und negativ besetzt ist; die deutsch-französische Ehe wird mit anderen Wörtern wie Krise und Scheidung assoziiert, der vielzitierte Motor stockt, weil der Treibstoff fehlt; beim Tandem wird noch gerätselt, wer vorne sitzt und lenkt; bei der Lokomotive stellt sich die Frage, warum die angeschlossenen Wagen nur noch hinterher fahren, ohne die Richtung bestimmen zu können.

Pragmatismus statt Symbolik

Frankreich und Deutschland haben ein Problem: Auf der permanenten Suche nach Symbolik übersehen sie, dass die Globalisierung - und der Aufbau Europas ist ja eine Art Globalisierung - nicht national, auch nicht binational geregelt werden kann, sondern multinational. Global eben. Nicht die symbolischen Gesten, die vor vierzig Jahren eindeutig sehr wichtig waren, helfen heute bei der Definition einer europäischen Identität, sondern der Pragmatismus einer gemeinsamen Politik für alle Bürger Europas auf allen Feldern des europäischen Alltags.

Wie besonders ist die Freundschaft?

Nicolas Sarkozy hat Recht, wenn er die besondere Partnerschaft als nicht mehr zeitgemäß bezeichnet. Denn: Wer fährt schon heute mit einem Zweitaktmotor? Aber er irrt, wenn er glauben sollte, Europa brauche die Erfahrungen deutsch-französischer Zusammenarbeit nicht mehr. Der französische Innenminister ist nicht der erste, der die Besonderheit dieser Freundschaft in Frage stellen will. Schon François Mitterrand hatte, bevor er 1981 Staatspräsident wurde, signalisiert, dass die Freundschaft zwischen seinem Vorgänger Valéry Giscard d'Estaing und Bundeskanzler Helmut Schmidt für ihn kein Modell sei. Während seiner 14-jährigen Amtszeit hat er aber mit Bundeskanzler Helmut Kohl neue Dimensionen für diese Freundschaft entdeckt.

Auch Gerhard Schröder hatte 1998 am Anfang seiner Kanzlerschaft geglaubt, dass ein "dritter Weg" mit London vielversprechender sei als eine Liaison mit Paris. Der amerikanische Irak-Krieg, an dem sich weder Frankreich noch Deutschland beteiligte, führte die beiden Nachbarländer wieder zusammen.

Großer Motor statt Zweitakter

Weder Nicolas Sarkozy - sollte er 2007 Staatspräsident werden - , noch Angela Merkel - sollte sie Bundeskanzlerin werden - können mehr als vierzig Jahre Geschichte ignorieren. Aber mit Blick auf die Zukunft Europas wollen beide die übrigen 23 Partner der Union nicht verprellen. Nur: Wenn eine neue gemeinsame Führungsrolle von Deutschland, Frankreich, Italien, Großbritannien, Spanien und vielleicht Polen - wie von Sarkozy angedacht - den deutsch-französichen Motor ersetzen soll, besteht die Gefahr, dass eine europäische Klassengesellschaft entsteht - auf Kosten der kleineren Mitgliedstaaten.

Die Lösung heißt nicht das Aufgeben der besonderen Partnerschaft, sondern das gegenseitige Respektieren der übrigen Partner ohne jedweden Führungsanspruch. Hierfür wird allerdings ein Motor gebraucht, den es noch nicht gibt. Und in der Not hilft ein Zweitaktmotor allemal.