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Europa braucht Führung und einen Führerschein

Bernd Riegert, Brüssel29. Juni 2005

Ach, Europa! Keine Verfassung, keine Einigkeit bei der Finanzierung und bei der Agrarpolitik - überhaupt fehlt es Europa an Eintracht, so scheint es. Nun scheitern die Spitzenpolitiker selbst im Kleinen: am Führerschein.

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Verfassungskrise, Haushaltsstreit und europäische Führungslosigkeit bewegen die Gemüter der Spitzenpolitiker. Ein paar Etagen tiefer geht es um das wirkliche, das praktische Europa. Seit Jahren versuchen die 25 Staaten sich auf einen europäischen Führerschein zu einigen, der das derzeitige Chaos beseitigen könnte. In dieser Woche ist der Versuch der Verkehrsminister, sich auf die einheitliche Fahrerlaubnis zu einigen, vorerst gescheitert.

Bernd Riegert

Der deutsche Verkehrsminister Manfred Stolpe führte den Widerstand an, weil er den in 20 Jahren vorgesehenen Umtausch lebenslänglicher deutscher Führerscheine in die neue EU-Karte für unzumutbar und zu bürokratisch hielt. So wird es bei der freiwilligen Einführung des EU-Führerscheins bleiben. Die heute 110 unterschiedlichen Führerscheinformate gelten weiter und oben drauf kommt Format 111.

Contra aus Bayern

Die ursprünglich vorgesehene Erneuerung des Führerscheins alle zehn Jahre war schon zuvor geschleift worden, weil es deutschen Rentnern nun einmal nicht zu verklickern ist, dass sie jenseits der 60 ab und zu einen Test auf Seh-, Hör-, und Fahrtauglichkeit machen müssen. Das bürokratische Monster EU-Führerschein sei zu erlegen, tönte es vor allem aus Bayern, vom dortigen Innenminister Beckstein (CSU).

Doch der heutige Zustand ist nicht minder bürokratisch. Seit 1996 gilt in der EU der Grundsatz, dass jeder nationale Führerschein überall gültig ist. Eine Pflicht zum Umschreiben der "Lappen" nach Landesart gibt es nicht mehr. Nur in Deutschland wurden EU-Ausländer bis zum Frühjahr gezwungen, umzutauschen oder wenigstens registrieren zu lassen. Da der Europäische Gerichtshof einer Klage gegen diese Praxis wohl stattgeben wird, wurde sie vorsorglich geändert.

Entzogen werden kann die Fahrerlaubnis wegen mangelnder EU-Regelungen aber nur auf nationaler Ebene. Das führt dazu, dass deutsche Alkohol- oder Temposünder in Polen oder Tschechien einen neuen Führerschein machen können, der in Deutschland und allen übrigen EU-Staaten gültig ist. Immerhin 2000 deutsche Führerschein-Touristen gab es im vergangenen Jahr in Tschechien. Wem die deutsche Fahrschule einfach nur zu teuer ist, kann in Polen für 1250 Euro das Komplett-Paket buchen, inklusive Prüfung und Unterkunft.

Prüfung in Asien

Bei Führerscheinen aus Nicht-EU-Staaten wird es noch komplizierter, da gelten internationale Abkommen aus den Jahren 1926 und 1968. So ist es zum Bespiel möglich, den Führerschein aus Hongkong oder den USA in Deutschland umschreiben zu lassen, wenn eine erneute Prüfung abgelegt wird. Deutsche Fahrstunden sind nicht nötig.

Das Mindestalter für das Fahren richtet sich nach dem Herkunftsland. Amerikaner dürfen in Europa teilweise mit 16 Jahren fahren, Briten mit 17. Umgekehrt können Deutsche eine internationale Fahrerlaubnis nur bekommen, wenn sie heute bereits in Besitz des EU-Führerscheins sind, den man auf freiwilliger Basis seit einigen Jahren eintauschen kann.

Die EU-Führerscheinrichtlinie war der zaghafte Versuch hier Einheitlichkeit zu schaffen. Vielleicht ist Europa noch nicht reif für einen Führerschein, solange Zebrastreifen, Rechts- vor-links-Vorfahrtsregeln und rote Ampeln zwar in ganz Europa gleich aussehen, von den Autofahrern zwischen Helsinki und Neapel aber durchaus unterschiedlich interpretiert werden.