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Europa im 12-Punkte-Fieber

Kay-Alexander Scholz25. Mai 2002

Am Samstag abend schon was vor? Wenn nicht, dann schauen Sie sich doch den "Eurovision Song Contest" an – Europa mal anders, die Show des Jahres, der Battle of the Year für alle Freunde eingängiger Melodien.

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Tanel Padar aus Estland gewann im letzten JahrBild: AP

Der Übertritt in die Welt der Show sei ein idealer Ausgleich für die Arbeit als Arzt, sagt Michael Sonneck. Der 45-jährige ist in seinem Zweitberuf Präsident des Eurovision Club Germany e.V. Die Trash-Phase der späten 70er und 80er Jahre, als der Grand Prix "komplett am allgemeinen Musikgeschmack vorbei ging", sei schließlich vorbei. "Heute ist es kein Schlager-, sondern ein Popmusikfestival."

Der "Grand Prix d'Eurovision de la Chanson" wie der "Eurovision Song Contest" früher hieß, war schon immer ein TV-Ereignis. Der erste Wettbewerb um Europas Grand-Prix-Krone startete 1956 im schweizerischen Lugano als Musikveranstaltung der europäischen Rundfunksender. Mittlerweile ist der an diesem Samstag (25. Mai 2002) ausgetragene Wettbewerb ein TV-Großereignis mit bis zu 200 Millionen Zuschauern in ganz Europa. Aus dem Wettbewerb ist eine sportliche Schlacht geworden, mit professionellen Wettbüros, Fan-Gemeinden und einem großen Finale.

Denn etwas Spaß muss sein

Vor der europäischen Endauswahl finden in den 25 Teilnehmerländern nationale Vorauswahlen statt. Seit dem Schlagerboom Mitte der 90er ist in Deutschland schon dieses Wettsingen ein Großereignis der Spaßgesellschaft. Gerade junge Leute machen bei dem Votum der TV-Zuschauer mit und küren auch schon mal bekennende Blödelkandidaten wie Stefan Raab oder Guildo Horn zum nationalen Vertreter.

Und dann wird’s ernst: in diesem Jahr in der estnischen Hauptstadt Tallinn. Nach einem wahrscheinlich wieder fulminanten Eröffnungsspektakel mit spektakulären Kamerafahrten und hypermodernem Lichtarrangement haben die Teilnehmer genau drei Minuten Zeit, die Fans auf dem Kontinent zu überzeugen. Hymnen oder Balladen haben Hochkonjunktur, genau wie eleganteste Abendroben oder nackte schöne Haut. Egal wie, der Song muss ins Herz gehen, da ist jedes Mittel recht.

Corinna May
Die Sängerin Corinna MayBild: AP

In diesem Jahr wird die blinde Corinna May für Deutschland singen. 1982 sang die damals 17-jährige Nicole mit weißer Gitarre ihr naives Liedchen für mehr Frieden auf der Welt und wiederholte den Refrain in sechs Sprachen. Das brachte Platz eins.

Das Jury-Theater

Nach dem Auftritt aller Interpreten beginnt die große Stunde der Auszählung. In einer stundenlangen Prozedur wird nach Paris, Belgrad, Kopenhagen, Berlin, Stockholm usw. geschaltet. Auf der Videoleinwand erscheint eine typische Schönheit des Landes, die mit einem freundlichen "Good Evening!" begrüßt wird. Und dann geht’s los: zwölf Punkte für den Besten, zehn für den Zweitbesten und für die folgenden Plätze acht bis einen Punkt.

Alle Punkte werden in englisch und französisch bekannt gegeben – das unterstreicht die europäische Idee, hat aber den Nachteil, das sich das ganze ewig hinzieht. Aus der Not eine Tugend machen – deshalb ist diese umständliche Punkte-Bekanntgabe inzwischen zum Kult geworden. Tausende Fans sitzen vor ihren TV-Geräten, auf den dutzenden Partys in Clubs oder im Freien und springen und schreien und buhen und jubeln und fallen sich in die Arme. Ein Großereignis wie gesagt, und die Eltern und Großeltern dieser Fans blicken mit Erstaunen in die Runde. Damals war der Contest noch eine ernste, ergreifende Schlager-Show.

Und in diesem Jahr? Zu den häufig genannten Favoriten – etwa bei Online-Abstimmungen – zählen Schweden, Frankreich, Spanien und Deutschland (!). Corinna May präsentiert ihren Song "I Can’t Live Without Music" mit der Startnummer 18 – wie vor 20 Jahren Nicole mit "Ein bißchen Frieden". Bleibt, auf viele "twelve points" zu hoffen.