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Europa im Größenwahn

Nicole Scherschun9. März 2009

In Europa herrscht Chaos, was Kleidergrößen angeht: die deutsche 38 ist in Frankreich eine 40 und in Italien gar eine 42, auf dem Blusenetikett steht S und auf dem der Hose 29/31. Eine EU-Standardisierung steht noch aus.

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Kleidungsetikett mit unterschiedlichen Größenangaben je Land und Maßband, Quelle: DW
Von Land zu Land unterscheiden sich die KleidergrößenBild: DW

In der Umkleide immer wieder dasselbe Spiel: "Ich glaube, die ist ein bisschen eng", sagt Katja nachdem sie die erste Hose anprobiert hat, obwohl 36 passen sollte. "Eigentlich habe ich immer 36. Ich weiß nicht, aber die ist irgendwie ein bisschen eng. Ich glaube, da hole ich noch mal eine andere." An diesem Tag muss Katja jedoch mehr als nur eine weitere Hose anprobieren, bis sie endlich die richtige gefunden hat - in jedem Geschäft beginnt das Spiel von vorne.

Kleidergrößen – eine Wissenschaft für sich

Dabei könne alles so einfach sein, meint Eva Hillers, Expertin für Konfektionsgrößen. Seit mehr als 40 Jahren ist sie mit diesem Thema beschäftigt und lehrt auch darüber an der Hochschule Niederrhein als Dozentin. "Wofür ich plädiere: Wir richten uns nach Brustumfang und Körperlänge, damit sie, wenn sie irgendwo auf der Welt eine Hose kaufen, sicher sein können, dass sie mit der Größe diesen Umfang haben und das entspricht ihrer Kleidergröße - und die ist überall gleich."

Frau wird vor einem Spiegel an der Hüfte mit einem Maßband vermessen, Quelle: www.sizegermany.de
Vermessen auf die traditionelle Art und Weise: mit dem MaßbandBild: www.sizegermany.de / view - die agentur

Denn bislang errechnen sich die Größen in jedem Land nach einer anderen Formel. Die Größe 38 ergibt sich in Russland zum Beispiel dadurch, dass der Brustumfang durch zwei geteilt wird. Eine Frau mit einem Brustumfang von 76 Zentimetern trägt demnach Größe 38. In Deutschland hingegen werden vom halben Brustumfang noch sechs Zentimeter abgezogen – 38 heißt also 88 Zentimeter Brustumfang.

Zudem kommen verschiedene Größen auch durch unterschiedliche Abstände zwischen den Größen zustande, den so genannten Sprungwerten. In südlichen Ländern wie Spanien und Italien sind diese kleiner als in Deutschland, wo beispielsweise erst nach vier Zentimetern die nächste Größe beginnt. Statistisch betrachtet sind wir in den vergangenen Jahrzehnten außerdem dicker geworden, die Größen jedoch konstant geblieben. "Wir entwickeln uns immer mehr in die Richtung einer Litfaßsäule. Das ist zwar traurig, aber der Trend ist da", sagt Eva Hillers.

Unsere Körper entwickeln sich zur Tonnenform

Den Nachweis dafür erbringen die so genannten Reihenmessungen, die in jedem Land durchgeführt werden. Dabei wird ein repräsentativer Teil der Bevölkerung von Kopf bis Fuß vermessen. Reihenmessungen zeigen somit auch, wie sich die Körpermaße in der Bevölkerung verändern. Die Franzosen sind beispielsweise größer und schwerer geworden.

Deutsche Reihenmessung per Bodyscanning - Frau im Bodyscanner, Quelle: www.sizegermany.de, Reiner Voß/view
Bodyscanning - die moderne Art der ReihenmessungBild: www.sizegermany.de / view - die agentur

Die Deutschen wurden 2008 neu vermessen. Die Ergebnisse des Projekts "SizeGermany" werden im Frühjahr 2009 erwartet. Doch auch die noch aktuellen Ergebnisse der deutschen Messung von 1994 zeigen: Die Größe 38 geht beispielsweise von den Maßen 88 Zentimeter Brustumfang, 72 Taille und 97 Hüfte aus - in den 60er Jahren waren das noch 88-68-90.

"Jetzt hat aber die Bekleidungsindustrie gesagt, dass das zu eng sei. Sie arbeiten einfach etwas größer. Es gibt sogar viele Firmen, die sagen grundsätzlich, unsere Größe 38, ist eine Größe 36 und zeichnen ihre Waren kleiner aus", erklärt Eva Hillers. Grund: Die Käufer sollen sich wohl fühlen und einkaufen. Es geht auch um Psychologie – und sie wirkt, auch bei Katja: "Ja, das spielt schon eine große Rolle. Man fühlt sich besser, wenn da eine kleinere Größe draufsteht."

Mogelpackung Kleidergröße

In gewisser Weise werde geradezu gemogelt, meint Eva Hillers. Die Bekleidungsindustrie versuche, ihren Kundinnen zu schmeicheln, indem sie möglichst kleine Größen auf die Etiketten geschrieben werden. Das Chaos komplett machen unterschiedliche Schnitte: Beispielsweise kann ein T-Shirt eng oder weit geschnitten sein und trotzdem die gleiche Größe haben: 38 ist dann eben doch nicht gleich 38.

Yvonne Kochs, verantwortlich für das Qualitätsmanagement bei C & A, erklärt das folgendermaßen: "Wenn man jetzt eine Kundin nimmt, die unsere junge Marke 'Clockhouse' kauft, dann ist das in der Regel eine jüngere Kundin, eine schlankere Kundin und dann wird das über eine enge Passform angeglichen. Wohingegen für eine ältere Dame dann eben entsprechend wahrscheinlich eine weitere Passform geeigneter ist und die Größe bestimmt."

Standard in Sicht

Dokumente mit Informationen zur Eu-Norm EN-13402, Quelle: DW
EU-Norm EN-13402: bislang zu kompliziert für die PraxisBild: DW

Es herrscht also Anarchie auf dem Gebiet der Konfektionsgrößen und das auf einem europäischen Binnenmarkt, auf dem mittlerweile fast alles eine EU-Norm hat: sogar Gurken und Feuerwehrhelme. Nur nicht die Konfektionsgrößen, die jeden hautnah betreffen. Grund ist aber nicht mangelndes Interesse: Das europäische Komitee für Normung, kurz CEN, hatte bereits 1994 damit begonnen, eine Norm für Konfektionsgrößen in Europa auszuarbeiten. Bisheriges Ergebnis: die Norm EN-13402 mit allerhand Regeln!

Problem: Bislang konnten sich die Experten nicht darauf einigen, was denn jetzt konkret auf den Größenschildchen der Kleidung stehen soll. "Alle Vorschläge waren bislang zu kompliziert: Da war die Größe 38 die Größe 4-3-4, wobei das erste Zeichen ein Code war sowie das mittlere und das letzte", erklärt Eva Hillers. Auch die Bekleidungsbranche lehnte diesen Vorschlag ab. Yvonne Kochs von C & A meint, dass "die vorgeschlagenen Codes nicht kundenfreundlich waren. Denn der Kunde muss dann sehr viel mehr lernen, als wenn er jetzt nur 42 hat."

Für einen Standard muss jedes Land Abstriche machen

Trotzdem seien vor allem europaweit agierende Unternehmen sehr an einer Standardisierung interessiert. Die nationalen Norm-Ausschüsse und die Industrie treffen sich Anfang des Jahres erneut, um darüber zu beraten, meint Kochs. Auch die Ergebnisse der aktuellen Reihenmessungen aus Ländern wie Frankreich, den Niederlanden und zuletzt auch Deutschland sollen einbezogen werden.

Doch Größenexpertin Eva Hillers ist skeptisch, ob eine europaweite Lösung tatsächlich gefunden werden kann, denn weder Franzosen, noch Deutsche, noch Italiener sind wirklich bereit ihre Größen aufzugeben. "Es ist natürlich immer schwierig die Europäer zusammenzubringen, denn dann muss jeder Abstriche machen und sagen, ich habe eben den halben Brustumfang als Größe beispielsweise und dann wäre auch ich mit der Größe 54 auf dem Markt."

Denn die Erfahrung zeige, dass das nur die wenigsten Kunden akzeptieren würden, gibt auch Katja zu. "Kommt darauf an, wie die neue Größe ausfällt. Also, wenn sie kleiner ist, als die, die ich jetzt habe, werde ich auf jeden Fall zufrieden sein. Aber, wenn ich jetzt 42 hätte, fände ich schon ganz schön blöd."

Mit dem Maßband einkaufen

Da rät Expertin Eva Hillers: Am besten gleich auf Größen und das Anprobieren verzichten, denn sie gehe grundsätzlich mit einem Zentimeter-Maß einkaufen. Damit messe sie bei Hosen beispielsweise den Taillenumfang und den Gesäßumfang an der Hose aus sowie die Schrittlänge. "Und dann kaufe ich diese Hose, weil ich Anprobieren hasse."