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Logischer Partner

16. Juni 2010

Die globale Finanzkrise hat der russischen Führung gezeigt: Russland bleibt hinter vielen Ländern zurück. Voraussetzung für eine Modernisierung seien politische Reformen, meint der russische Politikexperte Sturua.

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Portrait von Georgij Sturua (Foto: DW)
Georgij Sturua, Experte der russischen Stiftung IntegrationBild: DW

DW-WORLD.DE: Von russischer Seite hört man immer öfter, dass die EU der wichtigste Partner bei der Modernisierung des Landes sei. Ist das eine Wende in der russischen Politik?

Georgij Sturua: Russland hat Europa immer als Quelle für Technologien betrachtet, die Innovationen im Land begünstigen können. Aber offensichtlich hat die russische Führung nun erkannt, dass Russland ohne Veränderungen in eine Sackgasse gerät. Das ist eine sehr wichtige Entwicklung. Noch vor zwei Jahren befand sich die Regierung in einem Rauschzustand, denn hohe Ölpreise bescherten hohe Einnahmen, und von einer Modernisierung im heutigen Sinne wurde gar nicht gesprochen.

Was hat sich in den vergangenen zwei Jahren verändert?

Öl-Förderanlage in Sibirian (Foto: AP)
Russland hat sich lange auf sein Öl verlassenBild: AP

Die Stunde der Wahrheit war die weltweite Finanzkrise. Erst da begriff die russische Führung, welchen Platz Russland in der Welt einnimmt: zwei Prozent am globalen Bruttoinlandsprodukt (BIP) und weniger als ein Prozent an den weltweiten Exporten von Hochtechnologie-Produkten. Dass Russland nicht zu den Sitzungen der G7-Finanzminister eingeladen wird, macht die Bedeutung des Landes für die globale Finanzlage deutlich.

Russland fällt es unter allen G20-Ländern am schwersten, die Wirtschaftskrise zu überwinden. Nehmen wir die BRIC-Länder (Brasilien, Russland, Indien, China): China wies im vergangenen Jahr beim BIP ein Plus von 8,7 und Indien von 5 Prozent auf. In Brasilien ist das BIP nicht gestiegen, aber Russland fuhr als einziges der vier Länder ein Minus von 7,9 Prozent ein. Die russische Regierung hat erkannt, dass Russland hinter den entwickelten Ländern, aber auch hinter den Entwicklungsländern, dramatisch zurückbleibt.

Früher gab sich die russische Führung der Illusion hin, sie werde den Olymp der Weltelite mit Öl und Gas erklimmen und zu einer Energie-Supermacht werden. Die Wirtschaftskrise machte aber deutlich, dass diese Strategie nicht funktioniert. Außerdem werden weltweit energiesparende Technologien entwickelt und man setzt verstärkt auf neue Energiequellen, wie die Förderung von Schiefergas. All dies dämpfte die russischen Energie-Ambitionen und führt zu der von Präsident Dmitrij Medwedjew angekündigten Modernisierung. Aber sie erfordert Geld, Technologien und Experten. Woher soll das kommen? Europa ist dabei der logische Partner.

Was erwartet Europa im Gegenzug von Russland?

Montage der russischen und der europäischen Flagge (DW-Montage: Peter Steinmetz)
Geben und Nehmen: Russland und EuropaBild: DW-Montage/Bilderbox.de

Europa ist nicht bereit ist, Hochtechnologien mit einem aus europäischer Sicht unzuverlässigen Partner zu teilen. Europa kann nicht nachvollziehen, wie man Macht auf eine bestimmte Gruppe konzentrieren kann, wie man einfach Nachfolger ernennen kann und wie man ohne unabhängige Gerichte oder freie Medien leben kann. Für Europa ist ein Land mit unabhängigen Gerichten und Medien ein verlässlicherer Partner.

Russland braucht in erster Linie Reformen für sich selbst. Man kann Technologien nicht mit Gewalt eintreiben. Auch wenn man Technik oder Fachleute einkauft und sie nach Moskau oder Nowosibirsk bringt, wird sich trotzdem keine Innovation ergeben, weil dafür systemische Voraussetzungen bestehen müssen: wirtschaftlicher Wettbewerb, geringe Korruption und hohe Sicherheitsstandards. All dies wird in Russland derzeit nicht gewährleistet, deswegen sind in erster Linie politische Veränderungen notwendig.

Das Gespräch führte Sergej Morosow / Markian Ostaptschuk
Redaktion: Julia Kuckelkorn