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Europa schweigt - und sollte es nicht

Peter Philipp 11. Mai 2004

Von der Europäischen Union gibt es bislang keine offizielle Stellungnahme zum Folterskandal im Irak. Aber eine Positionierung gegen Verletzungen der Menschenrechte sei unbedingt notwendig, meint Peter Philipp.

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Bundesaußenminister Joschka Fischer wird den Amerikanern wohl kaum die Leviten lesen. Aber immerhin sollen die Foltervorwürfe auf der Tagesordnung seines USA-Besuches (11./12.5.2004) stehen. Sicher keine leichte Aufgabe angesichts des Tiefs, das die gegenseitigen Beziehungen wegen des Irakkrieges durchgemacht hatten und das man nun überwunden wähnte. Heute wie damals aber muss es das Recht - wenn nicht sogar die Pflicht - eines deutschen Außenministers sein, in aller Freundschaft, aber gleichzeitig auch aller Entschiedenheit, in Washington darauf hinzuweisen, dass die Anwendung von Folter den erklärten gemeinsamen Grundsätzen widerspricht und dass es nicht genügen kann, sich dafür zu entschuldigen.

Entschiedenes Auftreten notwendig

Solche Praktiken müssen abgestellt werden und die Verantwortlichen müssen die Konsequenzen ziehen. Nicht nur irgendein Militär hier oder dort, sondern auch die Politiker, die erst beim Anblick der belastenden Fotos Bauchschmerzen bekamen. Nicht aber, als sie das schändliche Treiben anordneten oder doch wenigstens zuließen. Es wäre freilich naiv anzunehmen, dass solche Ermahnungen Wirkung zeigen könnten in einem Washington, dessen politische Führung immer noch überzeugt ist, für das Gute zu kämpfen. Und dabei das Gute am eigenen System missachtet.

Eine solche Ermahnung an die USA erfüllt deswegen wohl auch mehr einen anderen Zweck: Sie soll demonstrieren, dass wir den bisher so hochgehaltenen moralischen Werten der Demokratie weiter verpflichtet sind. Nur wenn wir jetzt entschieden gegen das Vorgehen im Irak auftreten, beweisen wir, dass Menschenwürde und Menschenrechte mehr sind als nur Worte im deutschen Grundgesetz. Alle Achtung deswegen vor der Schweizer Außenministerin, die die Botschafter der USA und Großbritanniens zu sich zitierte, um sie an die Genfer Konvention zu erinnern.

Mittel gegen unbotmäßiges Verhalten

Entschiedenes Auftreten ist Deutschland sich selbst schuldig. Und das nicht nur gegenüber den USA, sondern - mehr noch - gegenüber Großbritannien. Denn dieses ist Teil der so genannten europäischen Familie, die man doch gerade in letzter Zeit so ausgiebig gefeiert und bejubelt hat. Um nicht unglaubwürdig zu werden, muss Europa zuerst vor der eigenen Tür kehren. Und dann im eigenen Haus für Ordnung sorgen. Dass dies keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Mitgliedsstaates ist, hat man im Fall Österreich und Rechtspopulist Jörg Haider längst festgestellt.

Es sollte - es muss - in der Europäischen Union (EU) Mechanismen geben, unbotmäßigem Verhalten einzelner Mitglieder zu begegnen. Sonst fällt das alles auf die Gemeinschaft zurück. Dann müssen wir uns alle den Vorwurf gefallen lassen, mit doppelter Zunge zu sprechen und doppelte Moral gelten zu lassen: Wie kann zum Beispiel das Europäische Parlament weltweit die Einhaltung der Menschenrechte einfordern, wenn es Verstöße gegen dieselben durch EU-Mitglieder nicht verurteilt? Oder: Wie können wir uns glaubhaft um Verständigung, Dialog und Zusammenarbeit mit der islamischen Welt bemühen, gleichzeitig aber betreten wegschauen, wenn aus unserer - europäischen - Mitte diese Welt auf das Schlimmste gedemütigt wird?