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Europa und die Gretchenfrage

Christian F. Trippe9. Juli 2008

Politisch sind Polen und Deutsche in EU und NATO verbunden, Passkontrollen zwischen den beiden Ländern gibt es nicht mehr. Und doch ist die Grenze zwischen Deutschland und Polen die schärfste Trennlinie in Europa.

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Christian F. Trippe
Christian F. TrippeBild: DW/Frommann

"Wie hältst Du’s mit der Religion", fragt Margarethe ihren Dr. Faustus. Die gleiche Frage, den Europäern heute gestellt, ist schnell beantwortet. "Gar nicht", erwidern die Ostdeutschen; "sehr!“ - antworten die Polen. Nirgendwo in Europa klaffen die Einstellungen zu Religion und Spiritualität so weit auseinander, wie diesseits und jenseits von Oder und Neiße. Zu diesem Ergebnis kommt der "Religionsmonitor", den die Bertelsmann-Stiftung hat erarbeiten lassen.

Geringer Stellenwert der Kirche - mit Ausnahmen

"Deutliche Tendenzen der Entkirchlichung" beschreiben Olaf Müller und Detlev Pollack in ihrem Bericht, der schon in der Überschrift die Leitfrage stellt: "Wie religiös ist Europa?" Auch die These vom "ungebrochenen Weiterwirken des Religiösen im Privaten" sei für den ganzen alten Kontinent nicht mehr haltbar. Nur in Italien und in Polen ist der Stellenwert von Religion und Kirche hoch. Nur in Ostdeutschland, auf dem Gebiet der ehemaligen DDR, ist der Stellenwert von Religion und Kirche besonders niedrig.

Nur noch jeder dritte Ostdeutsche ist Mitglied einer Religionsgemeinschaft. Folgerichtig sagen sieben von zehn Menschen dort, dass sie keine religiösen Gebote im Alltag befolgen. Nahezu spiegelbildlich der Befund in Polen: 63 Prozent richten sich nach religiösen Regeln.

Gretchenfrage ist Sonntagsfrage

In ihrer Selbsteinschätzung bezeichnen sich nur noch sechs Prozent der Ostdeutschen (aber 18 Prozent der Westdeutschen) als "ziemlich" oder "sehr religiös". Ein europäischer Negativrekord. Nur in Russland sind die Ergebnisse ähnlich, wobei aber einiges an ungebundener Spiritualität und durchaus Vertrauen in die (hier orthodoxe) Kirche empirisch gemessen wurden. Beides fehlt den Ostdeutschen.

Die sprichwörtliche "Gretchenfrage" ist im säkularisierten Europa keine mehr. Was bei Faustens Gefährtin noch Grauen hervorrief, provoziert heute bestenfalls ein müdes Lächeln. Wer aber nach den tieferen Gründen dafür sucht, warum sich Polen und Deutsche oft so schlecht verstehen, der muss gar nicht in der immer gerne zitierten Vergangenheit suchen. Es genügt vielleicht, sonntags einen Blick in die Kirchen zu werfen.