1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Europa und die iranische Bevölkerung wären die Leidtragenden

Ibrahim Mohamad2. Juli 2006

Im Fall einer Eskalation des Atomstreits mit dem Iran drohen dem Land wirtschaftliche Sanktionen. Nicht die USA und das Mullah-Regime, sondern Europa und die iranische Bevölkerung würden die Folgen zu spüren bekommen.

https://p.dw.com/p/8h1g
Iranisches Öl ist auf dem Weltmarkt begehrtBild: AP

Die fünf Vetomächte im UN-Sicherheitsrat sowie Deutschland haben Teheran Anfang Juni einen Kompromissvorschlag zur Beilegung des Atomstreits vorgelegt, der für den Iran weit reichende Wirtschaftsangebote als Gegengeschäft für seinen Verzicht auf Urananreicherung vorsieht. Bis spätestens 5. Juli soll die iranische Regierung positiv darauf reagieren, so beschlossen es die G8 bei ihrem jüngsten Treffen in Wien. Ansonsten drohen dem Iran Wirtschaftsanktionen, die für das Land im besonderen und für die Weltwirtschaft im allgemeinen negative Folgen haben könnten.

Der Iran hat eine wichtige geographisch-strategische Lage im Mittleren Osten zwischen dem Persischen Golf und dem Kaspischen Meer, wo die größten Erdöl- und Erdgaslagerstätte der Welt liegen. Zudem verfügt die islamische Republik über das zweitgrößte Erdölvorkommen weltweit nach Saudi-Arabien. Als viertgrößter Erdölproduzent beläuft sich seine Förderung auf vier Millionen Barrel täglich. Davon gehen etwa 2,4 Millionen Barrel in den Export, vor allem in Richtung asiatischer Länder, die insgesamt 60 Prozent der iranischen Erdölexporte empfangen. Wichtiger noch: Das Erdöl stellt die Haupteinnahmequelle des Iran dar und die Rohölexporte machen fast 85 Prozent des Gesamtexports des Landes aus.

Folgen für die Weltwirtschaft

Mit Abstand die größten Abnehmer des iranischen Erdöls sind Japan mit 23 Prozent, gefolgt von China mit etwa 12,5 Prozent. Danach kommen Italien mit 9,4 Prozent, Frankreich mit 7,3 Prozent, Indien mit über 6 Prozent, Südafrika mit 5,8 Prozent, Südkorea mit 5,4 Prozent, die Türkei mit 4,4 Prozent und die Niederlande mit 4 Prozent. Das heißt, im Falle von Sanktionen, die das Erdöl umfassen, werden diese Länder die ersten sein, die davon betroffen wären. Als Alternative werden sie versuchen, den Wegfall ihrer Importe aus dem Iran auf dem Weltmarkt zu ersetzen. Die Preise des schwarzen Golds könnten daraufhin explodieren und ein Barrel Erdöl (159 Liter) könnte binnen weniger Tage bei 100 US-Dollar oder mehr landen.

Damit wird die Weltwirtschaft in Mitleidenschaft gezogen: Zuerst werden Preiserhöhung und Wachstumsrückschläge, vor allem im an Energiequellen armen Westeuropa, die Folgen sein. Betroffen davon wären Wirtschaftsbereiche mit intensiver Energienutzung wie Autoproduktion und chemische Erzeugnisse – und die Käufer von Produkten aus diesen Branchen.

Europa als Haupthandelspartner

Als Reaktionen auf die von der Administration des damaligen US-Präsidenten Bill Clinton 1996 gegen den Iran verhängten Sanktionen sowie auf die politischen Spannungen mit dem Westen, versucht Teheran seine wirtschaftlichen Beziehungen mit den ostasiatischen Industrienationen und Russland auszubauen. Trotz der Erfolge, die vor allem in bestimmten Bereichen wie Stromerzeugung und Konsumindustrie erzielt wurden, bleibt die islamische Republik weiter auf die Lieferung eines großen Teils seiner wichtigsten Importe, vor allem des europäischen Know-hows für seine Infrastruktur, angewiesen. Dabei spielen Länder wie die Bundesrepublik Deutschland, die Schweiz, Frankreich und Italien die Schlüsselrolle.

Iranischer Markt wichtig für Deutschland

Über 17 Prozent der iranischen Importe kommen aus der Bundesrepublik, die mit Abstand das Hauptlieferungsland für den Iran darstellt. Nach Angaben des Deutschen Industrie- und Handelskammertages pflegen zurzeit mehr als 500 deutsche Unternehmen intensive Handelsbeziehungen mit dem Iran. Die deutschen Exporte dorthin haben sich in den vergangenen vier Jahren verdoppelt, von 2,2 Milliarden Euro im Jahr 2002 auf 4,4 Milliarden Euro im Jahr 2005. Wenn es zu Sanktionen käme, würden die deutschen und europäischen Lieferungen wegfallen. Die Folgen wären nicht nur große Verluste für die betroffenen Unternehmen; mittelfristig könnten dadurch auch tausende Arbeitsplätze verloren gehen. Und Deutschland droht damit einen seiner wichtigsten traditionellen Märkte im Mittleren Osten zu verlieren.

Katastrophale Folgen für die iranische Bevölkerung

Die größten Verlierer möglicher Wirtschaftsanktionen gegen den Iran sind aber nicht seine Wirtschaftspartner, sondern er selbst. Die Schäden auf der iranischen Seite blieben nicht nur wirtschaftlicher Natur. Lebensmittel und Medikamente werden fehlen und eine "menschliche Katastrophe" wie im Saddam-Irak könnte sich schneller als erwartet wiederholen. Auf wirtschaftlicher Ebene werden den verschiedenen Bereichen sensible Ersatzteile und die notwendigen Ausrüstungen fehlen. Es sind vor allem die Betriebe auf dem Gebiet der Autoherstellung und der Schiffbau. Selbst der iranische Energiesektor bliebe von den Folgen möglicher Wirtschaftsanktionen nicht unberührt, da die Modernisierung der Erdölförderanlagen und Raffinerien westliche Technologie benötigt.

Im Gegensatz zur iranischen Bevölkerung und zu den Wirtschaftspartnern des Irans könnten mafiose Gruppen aus korrupten Machthabern und Händlern von den Folgen der Sanktionen profitieren und sich durch Schmuggel von iranischem Rohöl über die Grenze bereichern. Das dürfte frappierend an die irakischen Umstände unter Saddam Hussein und die internationalen Sanktionen erinnern.

Nicht die USA und das Mullah-Regime, sondern Europa, die Weltwirtschaft und die iranische Bevölkerung würden die negativen Folgen möglicher Sanktionen gegen den Iran schmerzlich zu spüren bekommen.