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Europa zwischen Skepsis und Erleichterung

Bernd Riegert19. September 2005

Die europäischen Reaktionen auf die deutsche Wahl sind zwiespältig. Einig sind sich nur alle: Deutschland sollte schnell eine stabile Regierung finden.

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Auch Europa rätselt über das politische Gesicht DeutschlandsBild: AP

Während nach der Bundestagswahl in Berlin die politischen Rangeleien um die Regierungsmacht gerade erst begonnen haben, mahnte der EU-Kommissions-Präsident José Manuel Barroso zur schnellen Einigung: "Mit allem Respekt vor innenpolitischen Schwierigkeiten appelliere ich im Namen der Europäischen Kommission an die deutschen Politiker, schnell eine stabile Lösung zu finden, denn wir brauchen ein dynamisches und starkes Deutschland in Europa", sagte er in der Brüsseler EU-Zentrale. Er zeigte sich besorgt über den möglichen Stillstand, denn "Deutschland ist der Motor Europas. Ohne Deutschland kommt die EU nicht wieder auf die Beine".

"Europa blieb das Schlimmste erspart"

Auch der dänische Vorsitzende der Sozialistischen Partei Europas, Poul Nyrup Rasmussen, äußerte die Befürchtung, eine instabile Regierung in Deutschland würde zu schwierigen Zeiten in Europa führen. Zumindest sei Europa aber "das Schlimmste von Angela Merkels neoliberaler Politik erspart geblieben", sagte Rasmussen. Die CDU-Chefin habe von der deutschen Bevölkerung kein Mandat für einen neoliberalen Modernisierungsansatz bekommen, und es werde schwierig für sie werden, eine Regierung zu bilden.

Die französische Europaministerin Catherine Colonna hingegen versicherte, dass das deutsch-französische Duo ungeachtet der Verhandlungsergebnisse in Berlin der Motor des Aufbaus von Europa bleiben werde. Auch mit einer Kanzlerin Angela Merkel werde es enge Beziehungen geben, fügte die französische Verteidigungsministerin Michèle Alliot-Marie.

Unterstützung aus Schweden

Der schwedische Regierungschef Göran Persson hatte Verständnis für seinen sozialdemokratischen Parteifreund Gerhard Schröder: Dessen Anspruch auf das Kanzleramt sei, so Persson, trotz der Verluste "nur natürlich". Der Sozialdemokrat und tschechische Premier Jiri Paroubek sprach sogar von einem außergewöhnlichen Erfolg für den deutschen Kanzler. Der polnische Ministerpräsident Marek Belka mahnte hingegen an, dass Deutschland nun mutig die unumgänglichen Reformen in Wirtschaft und Sozialsystemen angehen solle. Wer immer Kanzler werde, so Belka, Polen und Deutschland blieben strategische Nachbarn, deren Beziehungen nur besser werden können.

Diese Frage stellt sich Martin Schulz nicht. Der Fraktionsvorsitzende der Sozialisten im Europäischen Parlament hält es für wahrscheinlich, dass der Bundeskanzler weiter Gerhard Schröder heißen wird. Mit einer möglichen Koalition von SPD, FDP und den Grünen könnte er seine Politik fortsetzen, glaubt Martin Schulz: "Es wird sich wenig ändern. Es wird bei der Grundlinie der deutschen Außenpolitik bleiben. Ich glaube, was Gerhard Schröder über Deutschlands Verläßlichkeit als mittlere Friedensmacht gesagt hat, auch den Ansprüchen der Liberalen sehr entgegen kommt."

Formelkompromisse mit einer großen Koalition

Spekuliert wird auch über die Chancen einer möglichen großen Koalition: Der Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament, Markus Ferber, zweifelt an der Handlungsfähigkeit einer solchen Koalition aus Konservativen und Sozialdemokraten: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass die strittigen Themen in Europa mit einer großen Koalition lösbar wären. Die Frage der Türkeimitgliedschaft würde mit einem Formelkompromiss wohl überbrückt werden. Man würde Verhandlungen beginnen und dann mal sehen, wie es weitergeht. Die Frage der Sprechfähigkeit wird bei Ratsentscheidungen sehr schwierig sein, je nachdem, welche Partei ein Ministerium hat."

Martin Schulz
Schulz: Außenpolitisch wird sich nicht viel ändernBild: dpa
Göran Persson und Gerhard Schröder
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Barroso ist ratlosBild: AP
EU Beitritt Türkei: Emfpang für Erdogan
Beten für die große Koalition?Bild: AP

Für den türkischen Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan war das Wahlergebnis in Deutschland ein Grund zur Erleichterung. Am 3. Oktober will er Beitrittsgespräche mit der EU aufnehmen, Merkel will jedoch an Stelle einer Vollmitgliedschaft die privilegierte Partnerschaft stellen. Erdogan kritisierte die negative Kampagne, die CDU und CSU im Wahlkampf gegen die EU-Ambitionen der Türkei geführt hätten. "Die Türken sollten für eine große Koalition beten", hatte ein EU-Diplomat in Ankara vor der Bundestagswahl gesagt.