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Europarat: Weniger Folter und Misshandlungen in der Türkei

6. September 2006

In türkischen Gefängnissen und auf Polizeistationen wird immer noch geprügelt und misshandelt - dennoch hat das Antifolter-Komitee des Europarates der Regierung in Ankara "Fortschritte" bescheinigt.

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Der türkische Ministerpräsident Erdogan muss zu neuen Vorwürfen Stellung nehmenBild: dpa

"Die Regierungspolitik der 'Null-Toleranz' gegenüber Folter und Misshandlungen zeigt die gewünschte Wirkung", hieß es in dem Bericht des Antfolter-Komitees der EU, der am Mittwoch (6.9.2006) in Straßburg veröffentlicht wurde.

Die Experten des Komitees hatten im Dezember 2005 Haftanstalten und Polizeistationen in drei türkischen Städten besucht. Befragte Häftlinge hätten von einem "deutlichen Kontrast" zu den schweren Misshandlungen früherer Jahre gesprochen. Brutalitäten wie Elektroschocks und Aufhängen an den Armen seien zuletzt 2004 in der Anti-Terrorabteilung der Polizeihauptquartiers in Adana festgestellt worden. Ärzte, Menschenrechtsorganisationen und Anwälte nannten nach Angaben des Komitees Fälle von Folter "die Ausnahme", während sie in früheren Jahren an der Tagesordnung gewesen seien.

Zu schweren Misshandlungen kommt es nach Einschätzung des Komitees weiterhin bei der Festnahme oder im Zusammenhang mit Demonstrationen. Brutale Schläge, auch gegen Genitalien, wurden genannt, ferner hätten Ärzte Schlagverletzungen an Gesicht, Nase und Beinen festgestellt. Die türkischen Behörden sollten ihre Bemühungen zur Bekämpfung aller Misshandlungen fortsetzen, empfahl das Komitee.

Amnesty International: Unfaire Prozesse und Folterungen

Die türkische Regierung sagte zu diesem Bericht, dass die Menschenrechts-Ausbildung der Polizei in Anlehnung an EU-Praktiken fortgesetzt werde. Mit den Gesetzesänderungen 2000 seien die Strafen für Folter und Misshandlungen verschärft worden. Ferner werde verstärkt bei Beschwerden Festgenommener Ermittlungen gegen Polizeibeamte eingeleitet.

Trotz Reformen in der Türkei hat Amnesty International (AI) scharfe Kritik an der Justiz des Landes geübt. In einem am Mittwoch in Berlin veröffentlichten Länderbericht beklagte die Menschenrechtsorganisation unfaire Prozesse und Folterungen zum Erpressen von "Geständnissen". Besonders betroffen seien Personen, die unter dem türkischen Anti-Terrorgesetz angeklagt seien. Die neuen Gerichte für schwere Straftaten hätten die Verfahrensfehler der ehemaligen Staatssicherheitsgerichte bislang nicht korrigiert, beklagte die Türkei-Expertin Amke Dietert von AI. Zudem hätten Angeklagte kaum Chancen auf eine faire Verteidigung. AI forderte die türkischen Behörden auf, internationale Rechtsstandards zu wahren.

Kritik auch vom EU-Parlament

Der Auswärtige Ausschuss des EU-Parlaments hält die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei für ernsthaft gefährdet. Der Ausschuss hatte am Montag einen Bericht des konservativen Abgeordneten Carmiel Eurlings aus den Niederlanden verabschiedet, wonach sich der Reformprozess in der Türkei in den zurückliegenden zwölf Monaten verlangsamt habe. Nachdrücklich forderte der Ausschuss Ankara auf, die Blockade seiner Luft- und Seehäfen für Flugzeuge und Schiffe aus dem EU-Mitgliedstaat Zypern zu beenden.

Wenn die Türkei das so genannte Ankara-Protokoll nicht vollständig umsetze, "wird dies ernste Konsequenzen für den Verhandlungsprozess haben und könnte ihn sogar zum Stillstand bringen", erklärte Eurlings Europäische Volkspartei (EVP). Darin seien sich die meisten Ausschussmitglieder einig gewesen. Das im vergangenen Jahr unterzeichnete Ankara-Protokoll sieht eine Ausweitung der Zollunion der Türkei mit der EU auf alle neuen Mitgliedstaaten vor, darunter auch Zypern.

Keine Änderung in der Armenienfrage

Der Ausschuss kritisierte ferner die Weigerung der Türkei, den Massenmord an den Armeniern im Osmanischen Reich als Völkermord anzuerkennen. Der türkische Ministerpräsident Erdogan zeigte sich am Dienstag empört über diese Forderung: "Unsere Position hinsichtlich des so genannten armenischen Völkermords ist sehr klar. Niemand sollte erwarten, dass wir sie ändern."

Beitritt in Gefahr?

Symbolbild EU-Beitritt der Türkei p178
Bild: dpa - Bildfunk

Kritik an dem Bericht des Ausschusses, der noch in diesem Monat das Plenum beschäftigen wird, übte auch der grüne Europa-Abgeordnete Cem Özdemir. Özdemir warf dem Ausschuss vor, sein Bericht gleiche "einem Gemischtwarenladen, in dem jeder seine speziellen Bedingungen für einen EU-Beitritt der Türkei wieder findet". In der Türkei müsse so der Eindruck entstehen, dass das Parlament einen Beitritt nicht wolle. Damit spiele man den Reformgegnern in der Türkei in die Hände, warnte Özdemir. Berichterstatter Eurlings argumentierte dagegen, das Parlament dürfe vor Problemen nicht die Augen verschließen. (kas)