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Europas Asyl-Lotterie

18. Dezember 2011

Wer in der EU um Asyl bittet, nimmt an einem Glücksspiel teil: In jedem EU-Staat gibt es unterschiedliche Verfahren und Lebensbedingungen. Ein gemeinsames Asyl-System ist ein fernes Ziel.

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Ein Boot mit Flüchtlingen erreicht Lampedusa (Foto: dpa)
Viele Flüchtlinge erreichen Europa über das MittelmeerBild: Picture-Alliance/dpa

Falls es für Asylsuchende ein Paradies in Europa gibt, müsste es wohl in Frankreich liegen. Nirgendwo sonst ist die Chance auf Anerkennung als Flüchtling so groß wie im Hexagon. Nach Berechnungen der EU-Statistikbehörde Eurostat hat Frankreich im Jahr 2010 europaweit die meisten Asylsuchenden aufgenommen. Neben Frankreich stehen Deutschland, Schweden, Belgien und Großbritannien an der Spitze der aufnehmenden Staaten; zwei Drittel aller Flüchtlinge fanden 2010 in diesen fünf Staaten Asyl. Es sind vor allem die reichen und damit auch die "alten" EU-Staaten, die viele Menschen aufnehmen.

Doch auch unter ihnen gibt es keine einheitliche Linie, sagt Cathryn Costello vom Worcester College der Universität Oxford. Auf der Jahreskonferenz der Europäischen Rechtsakademie zum Migrationsrecht der EU berichtete sie über ihre Forschungen: In bestimmten Staaten in Europa habe man überhaupt keine Chance, als Flüchtling anerkannt zu werden, so Costello. Auf der anderen Seite sei es gut, dass zum Beispiel Schweden seit Jahren mehr Iraker aufnehme als andere EU-Staaten. "Schweden trägt eine unfaire Last, denn seine Berufungsrichter im Asylverfahren haben die Position eingenommen, dass die Iraker Flüchtlinge sind, was wahrscheinlich korrekt ist. Und es war wahrscheinlich falsch von Deutschland, zur selben Zeit zu entscheiden, diese Menschen zurückzuschicken", glaubt die Juristin.

Asyl-Lotterie in der EU

Ziel der meisten Asylsuchenden ist demzufolge der reichere und aufnahmewilligere Norden der EU. Die meisten Menschen betreten europäischen Boden allerdings im Süden des Kontinents. Nach Recherchen der EU-Agentur für Grundrechte in Wien (FRA) finden 90 Prozent aller illegalen Grenzübertritte in die EU an den griechischen EU-Außengrenzen statt. Doch Griechenland und andere südeuropäische Länder haben weder die Kapazitäten noch das Rechtssystem, um den Migrationsfluss zu kontrollieren und zugleich die Rechte der Asylsuchenden zu wahren.

Asylsuchende in der Ausländerbehörde in Hamburg (Foto: dpa)
Warten auf AsylBild: AP

Anfang des Jahres 2011 verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg Griechenland und Belgien wegen unmenschlicher Behandlung von Asylsuchenden und der fehlenden Möglichkeit, sich juristisch zu wehren. Der klagende afghanische Staatsbürger war über Griechenland in die EU ein- und nach Belgien weitergereist. Nachdem Belgien ihn in sein Einreiseland Griechenland zurückgeschickt hatte, lebte er dort unter menschenunwürdigen Bedingungen und schließlich auf der Straße. Flip Schüller arbeitet als Anwalt in Amsterdam und vertritt viele Asylsuchende. Auch er hat den Prozess des Afghanen gegen Griechenland und Belgien verfolgt, ebenso wie die nationalen Gerichte und die zuständigen Behörden. "Aus den Niederlanden wird niemand mehr nach Griechenland zurückgeschickt", betont Schüller. "Und ich glaube, die meisten Staaten schicken niemanden mehr nach Griechenland zurück – zumindest nicht nach dem Dublin-Verfahren."

Dublin-Verfahren belastet die Einreiseländer übermäßig

Das so genannte Dublin-Verfahren stellt sicher, dass jeder Asylantrag nur in einem Mitgliedsstaat geprüft wird, um Mehrfach-Anträge zu verhindern. Zuständig für das Verfahren ist das Land, über das der Asylsuchende eingereist ist. Sollte er danach weitergereist und in einem anderen Dublin-Staat um Asyl ersucht haben, muss er in das Einreiseland überstellt werden. Auf diesen Ländern lastet die Kontrolle der EU-Außengrenzen – und das müsse neu aufgeteilt werden, fordert Eiko Thielemann von der London School of Economics. Über das Dublin-Verfahren müsse man noch einmal nachdenken. Es diene der Zuordnung von Verantwortung, aber nicht dazu, Verantwortung zu teilen, betont Eiko Thielemann: "Dublin ist ein Grund für die ungerechte Verteilung der Lasten unter den Mitgliedsstaaten und lässt einen überproportionalen Teil bei den Staaten mit EU-Außengrenzen." Als Wissenschaftler sei er erstaunt, wie man einem solchen Mechanismus jemals zustimmen konnte.

Der irakische Junge Diamon Waad in einem Übergangswohnheim für irakische Flüchtlinge in München. (AP Photo/Christof Stache)
Zwischenstation AsylbewerberwohnheimBild: AP

Thielemann formuliert weitere Aufgaben auf dem Weg zu einem gemeinsamen europäischen Asylsystem: Verfahren und Rückführung müssten EU-weit gemeinsam gestaltet werden. "Der dritte Punkt ist die interne Umsiedlung innerhalb der EU. Dabei sollte doppelte Freiwilligkeit gelten: Der aufnehmende Staat muss den Asylsuchenden aufnehmen wollen und der Asylsuchende muss auch dorthin ziehen wollen." Wobei die Freiwilligkeit ihre Grenzen haben muss, wenn man eine gerechte Verteilung innerhalb Europas erzielen will, räumt Thielemann ein.

Ein weiter Weg zu einem gemeinsamen Asylrecht

Seit einem knappen Jahrzehnt arbeiten die EU-Beamten in Brüssel an diesem gemeinsamen europäischen Asylsystem. Die EU-Staaten sollen nicht nur das gleiche Asyl-Verfahren anwenden, sondern auch das dazu notwendige Geld und die Asylsuchenden gerecht untereinander aufteilen. Lasten und Verantwortung teilen, heißt das Stichwort.

Stempel mit der Aufschrift "Ausgewiesen". (Symbolbild)
Ausweisung oder Rückführung in ein anderes EU-LandBild: Bilderbox

Einer EU-Richtlinie aus dem Jahr 2003 zufolge sollen Asylbewerber in allen EU-Staaten im Bereich medizinische Versorgung, Unterbringung, Zugang zu Bildung und Arbeitsmarkt gleiche Lebensbedingungen haben. So soll eine Weiterwanderung in andere Staaten oder eine Mehrfach-Antragstellung verhindert werden. Eine weitere Richtlinie aus 2005 formuliert Mindestvoraussetzungen für Asylverfahren vor den Behörden und in Grundsätzen auch vor den Gerichten. Sie legt unter anderem das Recht des Flüchtlings auf Dolmetscher und persönliche Anhörung, aber auch seine Pflichten, vor Behörden zu erscheinen und Dokumente vorzulegen, fest.

Nach Angaben von Eurostat haben in den 27 EU-Staaten im Jahr 2010 gut 250.000 Menschen Asyl erhalten. Die Zahl der illegal in die EU Eingewanderten liegt nach Angaben der EU-Kommission 2009 bei gut einer halben Million Menschen. Sie sind die Adressaten einer EU-Asylpolitik, gibt Kris Pollet vom Europäischen Rat für Flüchtlinge und Exilanten (ECRE) in Brüssel zu bedenken. Er verweist auch auf den Lissabon-Vertrag, der die Lastenteilung und die Solidarität propagiere, um eine gemeinsame europäische Asylpolitik zu etablieren: "Aber es muss klar sein, dass diese Politik auch fair den Nicht-EU-Staatsangehörigen gegenüber ist."

Autorin: Daphne Grathwohl
Redaktion: Iveta Ondruskova