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Ewige Eiszeit an der Newa, Prost!

Stephan Hille, Moskau1. November 2005

Themenbars sind der letzte Schrei in Russland. Je schriller ihre Kulissen, desto lustiger die Partys - und desto heftiger strömt der Alkohol, so scheint es.

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Stephan Hille

Nun dauerts nicht mehr lang, dann fällt der erste Schnee. In wenigen Wochen schon werden sich an den Dachrinnen wieder lange Eiszapfen bilden, die den Fußgängern auch schon mal Kopfschmerzen bereiten. Wenn verzweifelte Autofahrer mit Schneeschiebern ihre Autos aus den Schneebergen, die die Räumfahrzeuge an den Straßenrändern hinterlassen, ausgraben, spätestens dann ist in Russland wieder tiefster Winter - und der dauert im europäischen Teil Russlands gut und gerne vier bis fünf Monate.

Im Grunde machen die Russen das beste aus dem Winter: Wer kann, nutzt jeden Tag, um auf Schlittschuhen über zugefrorene Teiche zu flitzen oder mit Langlaufskiern durch die Wälder zu gleiten. Manche Russen können den Winter gar nicht abwarten.

Täglich Sylvester

Wer in St. Petersburg lebt, kann sich nun auf ein ganzjähriges Wintervergnügen freuen, zumindest theoretisch. Nach der Szenekneipe "Purga" (Schneegestöber), wo jeden Abend pünktlich um Mitternacht Silvester gefeiert wird, hat nun eine weitere Kneipe mit einem winterlichen Schwerpunktthema eröffnet: "Ljod" (Eis) heißt das Erlebnis-Etablissenment, und der Name ist Programm.

Innendrinn ist so gut wie alles aus Eis und die durchschnittliche Temperatur - und das versprechen die Besitzer auch im Sommer - liegt bei minus zehn Grad. Frieren müssen die Gäste dennoch nicht. Am Eingang erhalten die Besucher Pelzmäntel und Fausthandschuhe sowie die traditionellen "Walenki", knielange Winterstiefel aus Filz, die auch bei tiefsten Temperaturen noch Frostschutz bieten.

Schwedische Gardinen in Russland

Logisch, dass die Besitzer beim Kühlschrank sparen konnten, es ist ja auch so kalt genug. Die Gäste müssen ihre Getränke an Stehtischen einnehmen: Auch klar, denn zum Sitzen ist es ohnehin zu kalt und wer will schon in einer Eis-Bar festfrieren?

Je mehr Gäste im "Ljod", desto wärmer wird es. Daher werden nicht mehr als 15 Gäste eingelassen, denn sonst droht Tauwetter. Dafür serviert der frostfeste Barkeeper aber auch heiße Getränke.

So genannte Themenbars werden in Russland immer beliebter. Manche sind allerdings am Rande des guten Geschmacks. Zum Beispiel das "Zona", zu deutsch "Zone" und mehr oder weniger ein Synonym für Gefängnis oder auch Lagerhaft. Seit knapp zwei Jahren erfreut sich das Happy-Gulag-Lokal großer Beliebtheit. Und von außen sieht das "Zona" auch wie ein gut bewachter Knast aus. An den schroffen Umgang durch das Service-Personal ist man ohnehin schon gewohnt, da nimmt man die Leibesvisitation am mit Stacheldraht befestigten Eingang gelassen hin, die Schäferhunde tragen zum Glück einen Maulkorb.

Innen drin bedienen Kellner in Sträflingsuniform und unter dem Glasfußboden flitzen tatsächlich weiße Ratten herum, fast wie im richtigen Knast. Die Geschmacklosigkeit als Programm oder als Provokation? Egal, die überwiegend jüngeren Gäste finden nichts anstößiges daran, Partys in der Gulag-Kulisse zu feiern. Warum auch nicht, in Russland ist eben (fast) alles möglich. Hauptsache, es macht Spaß.