1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Ex-Premier Jozef Oleksy wird überraschend neuer Innenminister Polens - und Stellvertreter von Regierungschef Leszek Miller

21. Januar 2004
https://p.dw.com/p/4anL

Bonn, 21.1.2004, RZECZPOSPOLITA, GAZETA WYBORCZA

RZECZPOSPOLITA, poln., 21.4.2001, Webseite, Elsa Olczyk, Jan Ordynski

Jozef Oleksy, Vizevorsitzender der SLD [Bündnis der Demokratischen Linken] und größter Kritiker der Mannschaft von Leszek Miller, wird Vizepremierminister und Minister für Inneres und Verwaltung. Diese Entscheidung überraschte am Dienstagabend die politische Welt. Premier Leszek Miller hat sich bereits an den Präsidenten mit der Bitte gewandt, Oleksy für dieses Amt zu berufen. Noch gestern Morgen hatte er vor Journalisten erklärt, es gebe mehrere Kandidaten. "Ich versichere, dass es ein guter Kandidat sein wird, ein Mensch, der alle Aufgaben erfolgreich schultern wird", sagte der Premier über den künftigen Innenminister.

In der Tat hat Jozef Oleksy mehre Ämter inne: er ist Vorsitzender der Europa-Kommission im Sejm, Vizevorsitzender der SLD sowie Baron von Masovien. Er wurde allgemein als möglicher Nachfolger Leszek Millers im Falle eines eventuellen Wechsels im Amt des Regierungschefs gehandelt. Umso mehr überraschte die gestrige Entscheidung des Regierungschefs.

Oleksy selbst - erfuhren wir - schwankte sehr, ob er den Vorschlag des Premierministers annehmen sollte oder nicht. Er machte zur Bedingung, dass man ihn gleichzeitig zum Vizepremier ernennt (als Vizepremier wird er unter anderem Fragen der europäischen Integration beaufsichtigen und koordinieren und wird erster Stellvertretender Millers). Dieses Amt betrachtet er als eine Art Entschädigung für den Premierministerposten, den er im Jahre 1996 wegen Spionageanschuldigungen verloren hatte. Oleksy befürchtete jedoch, in das Regierungskorsett gezwängt zu werden und die Mannschaft von Leszek Miller nicht mehr wegen ihres Regierungsstils kritisieren zu können, was er bisher sehr gern und sehr oft getan hat (wie beispielsweise geschehen mit Grzegorz Kurczuk, einem Kritiker Millers, der nach Übernahme des Justizressorts zum Thema Regierung und Parteien keine Stellung mehr bezieht).

Es ist nicht ausgeschlossen, dass Oleksy mit dem Regierungsamt einverstanden war, weil ihm ohnehin der Verlust der Leitung der Europa-Kommission im Sejm drohte (nach einem Gesetzentwurf des Sejmpräsidiums über die so genannte große Europa-Kommission soll der Sejmmarschall diesen Posten übernehmen). Nach den unserer Zeitung vorliegenden Informationen hatte Präsident Aleksander Kwasniewski auf seine Nominierung bestanden.

Gegen Oleksy läuft seit über vier Jahren ein Verfahren wegen Verschleierung der Zusammenarbeit mit dem militärischen Geheimdienst der Volksrepublik Polen (so genannte Lustrationslüge), und ein Ende des Verfahrens ist nicht abzusehen. Ombudsmann Boguslaw Nizienski legte vor kurzem weitere Dokumente zur Prüfung vor. Um Stellung dazu zu beziehen - dazu könnte das Gericht Monate brauchen.

Gestern Nacht entschied sich auch das Schicksal eines weiteren Vizepremiers, das von Marek Polak, des Vorsitzenden der Union der Arbeit. Er bleibt Minister für Infrastruktur. Ein Teil der SLD-Politiker hatte gestern noch die schwachen Arbeitsergebnisse des Polak unterstellten Ressorts kritisiert. Leszek Miller hatte bereits in der vergangenen Woche Gerüchte dementiert, Polak werde entlassen und als Minister ohne Geschäftsbereich in der Regierung bleiben. (...). (TS)

GAZETA WYBORCZA, poln., 21.1.2004, Webseite, Wojciech Zaluska

Jozef Oleksy wird Vizepremier und Minister für Inneres und Verwaltung. "Es ist wieder einmal ein Schachzug von Leszek Miller, über den er sich - wie ich ihn kenne - wie ein Kind freut", sagte ein wie alle überraschter Mitarbeiter des Premierministers.

Ein Regierungssprecher trat nach dem Treffen der Führung des Bündnisses der Demokratischen Linken und der Union der Arbeit am Abend vor Journalisten. Er sagte: Der Premierminister hat sich an den Präsidenten mit der Bitte gewandt, Jozef Oleksy zum Vizepremier und Minister für Inneres und Verwaltung zu ernennen. Die meisten Führer der Koalition hatten dies sicherlich kurz davor erfahren.

"Eine völlige Überraschung", lauteten die ersten Kommentare von Politikern und Journalisten. "Miller hat wieder einmal gezeigt, dass er hier Gast ist. Die größten Entscheidungen fallen nur in seinem Kopf. Er führte schon immer gern verschiedene Politiker und Journalisten, die spekulierten, was er wohl tun werde, an der Nase herum", sagte einer seiner Mitarbeiter unserer Zeitung.

Keiner unserer Gesprächspartner hatte Probleme damit, Millers Motive zu nennen: Mit der Berufung Oleksys in das Innenministerium habe er seinem größten Rivalen die bequeme Position eines Rezensenten genommen. Oleksy werde jetzt für die Politik der Regierung mitverantwortlich sein. "Diese ganze Sch... wird jetzt auch auf Oleksy zurückfallen", so der derbe Kommentar eines unserer Gesprächspartner. Miller hat auch noch ein weiteres Ziel erreicht - er entfernte Oleksy "von der Basis". Als Regierungsmitglied wird er wahrscheinlich auf die Leitung der SLD in Masovien verzichten müssen, wo er im vergangenen Jahr mit großem Enthusiasmus zum Baron ernannt wurde. Oleksy wird also seine Anhänger enttäuschen.

Warum also hat er das Angebot angenommen? - wurde auf den Fluren des Sejm gefragt. Und eine Antwort ist nur schwer zu finden, zumal Oleksy noch vor kurzem in Flurgesprächen "eine Offensive nach den Parlamentswahlen" angekündigt hatte. "Vielleicht hat Oleksy (...) begriffen, dass es keinen Sinn hat, weiter gegen ein Pferd zu treten. Die Lust zu kämpfen haben ihm möglicherweise auch die letzten Signale aus dem Präsidentenpalast genommen, die zeigen, dass Kwasniewski dabei ist, das Ringen mit Miller zu beenden...", so ein SLD-Abgeordneter. Eine weitere Stimme aus der SLD lautet: "Oleksy sieht sicherlich die Chance, Nummer zwei in der Partei zu werden. Die Vernunft, der Selbsterhaltungsinstinkt und die Eitelkeit haben ihm zugeflüstert 'Sag ja!'." (TS)