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Der Kampf ums Wahlrecht für Ex-Straftäter

Mara Bierbach18. Juli 2016

Hunderttausende US-Bürger dürfen nicht wählen, weil sie ehemalige Straftäter sind. Dabei könnten ihre Stimmen wahlentscheidend sein. Der Staat Virginia macht eine Ausnahme. Doch die könnte gerichtlich gestoppt werden.

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Wählerregistrierung Wahl USA Virginia
Bild: DW/M.Bierbach

Der Tag, an dem Barack Obama 2009 zum ersten afroamerikanischen Präsidenten der USA gewählt wurde, war bittersüß für Terry Garrett. Als Afroamerikanerin, deren Eltern die Rassentrennung im amerikanischen Süden durchleben mussten, war sie hoffnungsvoll und glücklich angesichts eines schwarzen Präsidenten. Doch Terry war auch traurig, wütend, enttäuscht. Ihre Kinder und ihr damaliger Mann waren alle wählen gegangen, hatten ihr Kreuz neben dem Namen "Obama" gemacht. Doch sie durfte das nicht. Die 48-Jährige aus Alexandria, Virginia, hat noch nie wählen dürfen. Als sie 18 wurde und das Mindestwahlalter erreichte, war sie bereits wegen Ladendiebstahls verurteilt worden. Und in Virginia, ihrem Heimatstaat, wurde Ex-Straftätern bis vor Kurzem das Wahlrecht auf Lebenszeit entzogen.

Im April dieses Jahres ordnete Terry McAuliffe, der Gouverneur von Virginia, an, dass alle Ex-Straftäter wählen dürften, die ihre Bewährung abgeschlossen haben.

Terry Garrett hofft, bei der Präsidentschaftswahl im November wählen zu dürfen
Terry Garrett hofft, bei der Präsidentschaftswahl im November wählen zu dürfenBild: DW/M. Bierbach

Jetzt hofft Terry Garrett, dass sie im November zum ersten Mal in ihrem Leben wählen kann. Als Anhängerin der Demokraten möchte sie Hillary Clinton als erste Präsidentin mit ins Amt heben.

Die Verfassung von Virginia verbietet es verurteilten Straftätern, zu wählen. Der Gouverneur hat jedoch auch das Recht, Betroffenen das Wahlrecht zurückzugeben. McAuliffes Verfügung ist die bisher weitreichendste Interpretation dieses Rechts - 206.000 neue Wähler gibt es dadurch. Wenn sich viele dieser ehemaligen Straftäter an den Wahlen beteiligen, könnten sie die politischen Machtverhältnisse in Virginia - und vielleicht sogar in den USA - beeinflussen. Als so genannter "Swing State" ist Virginia bei den Präsidentschafts- und Kongresswahlen besonders wichtig. Niemand kann voraussagen, ob sich die Mehrheit hier für Demokraten oder Republikaner entscheiden wird.

Strenge Beschränkungen für Straftäter

Die USA haben nicht nur eine der höchsten Inhaftierungsraten der Welt. Das Land beschränkt auch das Wahlrecht von Straftätern weit mehr als viele andere Demokratien. Etwa 5,85 Millionen Amerikaner dürfen sich nicht an Wahlen beteiligen. Die drei US-Staaten Florida, Iowa und Kentucky entziehen Bürgern nach einer Verurteilung lebenslang das Wahlrecht. In den meisten anderen Staaten darf erst nach Ablauf der Bewährungsfrist gewählt werden. Nur Vermont und Maine - zwei Bastionen der Demokraten an der liberal geprägten Ostküste - schränken das Wahlrecht von straffällig gewordenen Bürgern nicht ein.

Viele Länder, darunter Kanada, Frankreich, Japan und Schweden, erlauben Straftätern auch während der Haft zu wählen. In Deutschland dürfen Richter einzelnen Straftätern das Wahlrecht für bis zu fünf Jahre entziehen - das wird allerdings nur selten angewendet.

Organisationen wie New Virginia Majority verteilen Registrierungsformulare an potentielle Neuwähler
Organisationen wie New Virginia Majority verteilen Registrierungsformulare an potentielle NeuwählerBild: DW/M.Bierbach

In den USA wird Menschen aus ärmeren Verhältnissen und Afroamerikanern überdurchschnittlich oft das Wahlrecht entzogen. Bis April dieses Jahres durfte einer von vier Afroamerikanern in Virginia aufgrund einer Verurteilung nicht wählen.

Hitzige Debatte über rassistische Diskrimierung

Die Verfügung von Gouverneur McAuliffe macht Schlagzeiten in einer Zeit, in der in den USA heftig gestritten wird über rassistische Diskriminierung im Justizsystem. Während linke Aktivisten sich auf die Seite des Gouverneurs schlagen, kritisieren konservative Politiker ihn scharf.

McAuliffe rechtfertigt seine Verfügung als Korrektiv gegen die historisch bedingte, systematische Entmündigung der schwarzen Bevölkerung seines Staates. Virginia ist Teil des US-amerikanischen Südens - hier war Sklaverei bis 1865 legal. Bis in die 1960er Jahre mussten Bürger in Virginia eine Gebühr zahlen, wenn sie sich als Wähler registrieren lassen wollten. Eine Regel, die de facto viele schwarze und arme Bürger von Wahlen ausschloss.

Linke Aktivisten versuchen derzeit, so viele der neuen Wahlberechtigten wie möglich als Wähler zu registrieren. In den USA darf nur abstimmen, wer sich vorher registriert hat. In Virginia haben das bis jetzt 9.464 ehemalige Straftäter gemacht.

Für Jon Liss bedeutet eine Ausweitung des Wahlrechts mehr Demokratie
Für Jon Liss bedeutet eine Ausweitung des Wahlrechts mehr DemokratieBild: DW/M.Bierbach

Jon Liss, Geschäftsführer von New Virginia Majority, hat viel Lob für McAuliffe. "Wir wollen eine Gesellschaft, die inklusiver und demokratischer ist. In der alle an der politischen Entscheidungsfindung beteiligt sind," so Liss. "McAuliffes Erlass ist der richtige Schritt in Richtung einer umfassenderen, besseren Demokratie."

Governeur und Kongress im Clinch

Doch nicht alle sehen das so. Für manche ist McAuliffes Beschluss nicht im Sinne der Demokratie, sondern nur im Sinne seiner Partei, der Demokraten. Der Gouverneur gilt als enger Vertrauter der Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton. Kompetenzüberschreitung werfen ihm die republikanischen Mehrheitsführer im Senat und im Abgeordnetenhaus von Virginia vor - und haben ihn deshalb verklagt.

Michael Kirk vertritt vor Gericht die klagenden Republikaner. Für ihn ist die entscheidende Frage nicht, ob ehemalige Straftäter wählen dürfen, sondern ob der Gouverneur das Recht hat, ehemaligen Straftätern das Wahlrecht ohne Einzelfallprüfung zurückzugeben.

Michael Kirk sieht den Erlass des Gouverneurs als einen Missbrauch der exekutiven Gewalt
Michael Kirk sieht den Erlass des Gouverneurs als einen Missbrauch der exekutiven GewaltBild: DW/M. Bierbach

Für den Anwalt kommt der Erlass einer Gesetzesänderung gleich, weil er automatisch für alle Straftäter gilt, die Haft und Bewährung absolviert haben. Ein exekutiver Erlass sei nicht das richtige Mittel, sagt Kirk. "Der richtige Weg wäre, die Verfassung von Virginia zu ändern." Das ist jedoch nur mit einer Mehrheit im Kongress von Virginia möglich – und dort haben in beiden Häusern die Republikaner das Sagen. Sie lehnen eine Gesetzesänderung ab.

Die Klage der Republikaner wird am 19. Juli vor dem Obersten Gericht des Bundesstaats verhandelt. Falls McAuliffes Verfügung für verfassungswidrig befunden wird, werden bis zur Kongress- und Präsidentschaftswahl im November alle neu registrierten Ex-Straftäter wieder aus den Wählerlisten gelöscht.

Mehr als nur das Wahlrecht

Für Terry bedeutet ihr neu gewonnenes Wahlrecht mehr als nur über Kandidaten abstimmen zu dürfen. Es ist für sie auch eine Anerkennung ihrer Bemühungen, sich zu reintegrieren. Jahrzehntelang war Terry drogenabhängig, seit zehn Jahren aber ist sie clean. Sie arbeitet hart daran, ihren Kindern, Enkelkindern und anderen Frauen, die einen Weg aus der Sucht suchen, ein gutes Vorbild zu sein.

"Ich finde, ich sollte wählen dürfen, denn ich habe eine Meinung. Mir ist wichtig, was in meiner Gemeinde und meinem Land passiert", sagt sie. "Ich möchte wie jeder andere Bürger behandelt werden, egal, was ich in der Vergangenheit gemacht habe."