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Exit Hamlet: Theater und Kolonialismus

Aya Bach11. November 2013

Wie eng Deutschland und Kamerun durch die Kolonialzeit verbunden sind, ist vielen Menschen nicht bewusst. Wer hinschaut, muss sich auf Schocks einstellen. Theaterleute beider Länder haben sich der Geschichte gestellt.

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Szene aus dem Theaterprojekt "Fin de Machine" in Mülheim/Ruhr November 2013. Szenenausschnitt aus "Fin de Machine" (Copyright: kainkollektiv)
Bild: kainkollektiv

Wie im Fegefeuer hat er sich gefühlt, erzählt Regisseur Fabian Lettow, als er nach Kamerun kam und gemeinsam mit seinen Theater-Kollegen die Hauptstadt Yaoundé erkundet hat. "Die Stadt ist extrem lebendig, manchmal auch aggressiv. Es wird verkauft, gehandelt, Musik gemacht und gefeiert." Aber all diese Aktivitäten, meint er, überdecken einen großen Wartezustand: "Niemand weiß richtig, worauf er oder sie wartet, niemand weiß, ob der Ausgang gut oder schlecht sein wird, geht's zur Hölle oder zum Himmel?"

Das kann auch Martin Ambara nicht sagen, Lettows Regie-Kollege aus Kamerun. Ein politischer Kopf, der das grenzüberschreitende Theaterprojekt initiiert hat. Ambara hatte zuvor mehrmals in Deutschland gearbeitet, war auch zum Berliner Theatertreffen eingeladen, dem Gipfeltreffen der Branche. Mit deutschen Dramatikern ist er vertraut - von Goethe bis zum ostdeutschen Heiner Müller (1929-95). Dessen "Hamletmaschine" produziert mörderische Bilder von Machtbesessenheit und Menschenverachtung aus der deutschen Geschichte. "Das ist ein kamerunisches Stück", sagt Ambara. Grund genug, es neu zu durchleuchten - mit einem Theater-Ensemble aus beiden Ländern.

Nestle-Werbung in Yaounde, (Foto: Jean-Pierre Kepseu/Panapress/Maxppp +++(c) dpa - Report+++)
Yaoundé: Früher ein Posten der deutschen Kolonialherren, heute von westlicher Werbung dominiertBild: picture-alliance/dpa


Expedition in Yaoundé

"Heiner Müller hat oft gesagt, man soll nicht seine Stücke nehmen und sie als solche zeigen, sondern sie wie eine Landschaft betrachten und woanders hingehen“, erklärt Ambara und lacht. "Ungefähr so machen wir das auch." Ziemlich weit sind sie weggegangen von Müller und der DDR. "Fin de machine. Exit Hamlet" heißt ihr Projekt inzwischen. Dafür haben Lettows Ensemble "kainkollektiv" und Ambaras Team vom Othni-Theater wochenlange Expeditionen in Yaoundé unternommen, mitten hinein in die kamerunisch-deutsche Vergangenheit.

"Nach und nach stellt man fest, wir haben total viel damit zu tun", sagt Fabian Lettow. "Es gibt diese Stadt ja nur aus einer deutschen Geschichte heraus. Und die kennt man kaum“. Tatsächlich wurde die Stadt von den deutschen Kolonialherren gegründet, die Kamerun 1884 als "Schutzgebiet" in Besitz genommen hatten. Zwangsarbeit, Umsiedlungen, Plünderungen, Hinrichtungen gehörten fortan zum Alltag. Bis zum Ersten Weltkrieg dauerte die deutsche Herrschaft, es folgten Franzosen und Briten.


Das Unwissen der Weißen

Doch diese Geschichte ist bei den Deutschen komplett ausgeblendet. "Erst ist man erstaunt. Dann merkt man: Sie sind ehrlich, wenn sie sagen, dass sie das nicht wissen. Und man fragt sich: Warum klage ich sie an?" sagt Martin Ambara. "In Afrika sagt man immer, die Weißen haben uns so vieles angetan. Dann kommst du zu den Weißen, und dir wird klar: die wissen wirklich nicht, was ihre Vorfahren gemacht haben. Nicht mal, dass Kamerun in deutschem Besitz war!"

Szene aus dem Theaterprojekt "Fin de Machine" in Mülheim/Ruhr November 2013. (Copyright: kainkollektiv)
Grenzübergreifend: Schauspieler vom Kameruner OTHNI-Theater und vom deutschen kainkollektivBild: kainkollektiv

Einen "Graben des Unwissens" nennt das Ambara. Sein Theaterprojekt soll dazu beitragen, ihn zu überbrücken. Auch die Kameruner Theaterleute entdecken dabei Fakten, die sie schockieren. Ein Beispiel: Nationalheld Charles Atangana, den sie als Freiheitskämpfer kannten. "In Wirklichkeit hat er nicht für die Unabhängigkeit gekämpft, sondern für seinen persönlichen Profit", sagt Martin Ambara, "er hat für die Deutschen gearbeitet, und als die Franzosen kamen, hat er seinen Namen geändert und für sie gearbeitet."


Mit dem Schmerz gelebt

Die Geschichte der Kollaboration fließt mit ein in die große Bildermaschine des Theaterprojekts, das gerade in einer zweiten Arbeitsphase in Deutschland entsteht. Heiner Müllers brutale Bilder, die von Macht- und Mordgier erzählen, verschmelzen mit dem Drama eines Landes, dem Europa seine Geschichte nahm. Über eine zerstückelte Leinwand flimmern Aufnahmen aus der Gegenwart Yaoundés, der afrikanischen Millionenstadt, die von westlicher Werbung zugemüllt wird. Und die auch Jahrzehnte nach dem Ende der Kolonialzeit aufs engste mit Europa verquickt ist.

Bildinhalt: Denkmal für Charles Atangana in Yaoundé, Kamerun. Foto: DW/Aya Bach Datum: November 2012
Populär: Denkmal für Charles Atangana in YaoundéBild: DW/A. Bach

"Ich habe immer mit diesem Schmerz gelebt", sagt Martin Ambara. "Aber hier weiß keiner, dass die kleinste Entscheidung in Europa immense Auswirkungen auf Afrika hat. Wenn ich mit Leuten hier rede, die das alles nicht wissen, frage ich mich, in welcher Welt wir eigentlich leben. Das zeigt, wie sehr Europa abgeschottet ist. Manchmal habe ich den Eindruck, wenn die Europäer von der Welt sprechen, denken sie an nichts anderes als Europa."


Neues Bild der Europäer

Zumindest die Schauspieler vom "kainkollektiv" haben gespürt, dass die Grenzen Europas nicht die Grenzen der Welt sind. Mitten in die Millionenstadt Yaoundé geworfen, haben sie sich dem "Fegefeuer" ausgesetzt, von dem Fabian Lettow spricht: "Was macht uns denn zu Zeitgenossen, die wir ja sind, bei aller Unterschiedlichkeit der Lebensbedingungen?"

Dieser Frage setzt sich nun auch das Publikum beider Länder aus. Bis Ende November tourt die Produktion durch Deutschland, im Januar geht sie nach Yaoundé. Für die Schauspieler zumindest ist der "Graben des Unwissens" geringer geworden. "Freundschaftlich", betont Martin Ambara, ist die gemeinsame Theaterarbeit gelaufen. "Ich betrachte die Europäer jetzt anders als vorher. Ich sage jetzt nicht mehr, sie haben uns so viel angetan, sondern: Sie wissen es tatsächlich nicht!"