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Explosive Kriegsreste gefährden afghanische Zivilisten

Waslat Hasrat-Nazimi (Kabul)3. September 2014

Der Abzug der NATO-Truppen aus Afghanistan steht fest. Was aber passiert mit den verbleibenden Kriegsresten, die weiter Leib und Leben der Afghanen gefährden? Aktivisten appellieren an die Verantwortung der NATO.

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Afghanistan Rehabilitationszentrum des Roten Kreuzes
Ein Kind im Rehabilitationszentrum des Roten Kreuzes im afghanischen HeratBild: picture-alliance/landov

"Früher habe ich mich geschämt", sagt Rahmat Merzayee ernst. "Wenn mir auf der Straße ein Mädchen entgegengekommen ist, habe ich mir gewünscht, im Erdboden zu versinken." Er hält kurz inne. Dann aber blitzen seine blauen Augen vergnügt auf. "Ich habe gelernt, mit meiner Behinderung zu leben. Meine Arbeit hat mir wieder Selbstvertrauen gegeben." Rahmat war erst neun, als er beide Beine verlor. Beim Spielen trat er auf eine Mine. Nur ein kurzer Augenblick, einen Moment nicht aufgepasst - und sein Leben veränderte sich für immer. Er muss Prothesen tragen und kann sich nur mit Gehhilfen fortbewegen. Trotzdem gibt er nicht auf.

Heute ist Rahmat Programmmanager der Afghan Landmines Survivors Organization (ALSO) und aktives Mitglied der Gruppe "Ban Advocates", die auf weltweiten Konferenzen die Forderungen der Überlebenden von Unfällen durch explosive Kriegsreste vertritt. Hier hat Rahmat die Chance, anderen Opfern beizustehen und sich für sie einzusetzen. Eines ist ihm besonders wichtig: Der Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan. Bei aller Hast dürfe die NATO nicht vergessen, dass sie ihre explosiven Kriegsreste nicht einfach zurücklassen könne. "Als die sowjetischen Truppen 1989 abgezogen sind, haben sie das Land vermint zurückgelassen", erklärt Rahmat. Das habe Tausende Menschen bis heute Arme und Beine gekostet. "Will die NATO jetzt denselben Fehler begehen?"

Landminen-Opfer in Afghanistan; ARCHIV 2009; Copyright: Rahmatullah Merzayee, Afghanistan, 14.03.2009 ***Achtung: Nur zur mit Merzayee abgesprochenen Berichterstattung verwenden!***
Rahmat Merzayee (Li) setzt sich für Opfer von Unfällen durch explosive Kriegsreste einBild: Merzayee

Weg mit den explosiven Resten

Afghanistan ist nicht nur das meist kontaminierte Land der Welt, es weist auch die höchste Zahl an Minenopfern weltweit auf. Weitere Tausende Quadratkilometer sind inzwischen mit explosiven Kriegsresten der ISAF-Operationen verseucht. Laut einem Bericht der UN-Unterstützungsmission für Afghanistan (UNAMA) war in den ersten sechs Monaten des Jahres 2014 im Vergleich zum Vorjahr ein Anstieg ziviler Opfer durch explosive Kriegsreste um 14 Prozent zu verzeichnen. Besonders schockierend: die meisten waren Kinder. "Oft halten Kinder das explosive Material für Metall, das sie verkaufen können. Und plötzlich gibt es einen lauten Knall", sagt Rahmat.

Umso wichtiger ist es deshalb, dass die NATO Verantwortung übernimmt. Seine Gruppe "Ban Advocates", gehört Handicap International (HI) an - eine Organisation, die sich für Menschen mit Behinderung einsetzt. Camille Gosselin von Handicap International fordert die NATO-Konferenz in Wales auf, sich mit diesem Thema zu beschäftgien. Die Konferenz solle sich neben dem Abzug auch um ihre Hinterlassenschaften kümmern. "Wir bitten alle ISAF Staaten, ihre Informationen zur Kontaminierung durch explosive Kriegsreste freizugeben“, fordert Gosselin. "Angesichts der steigenden zivilen Opferzahlen ist es deren Pflicht, alle kontaminierten Militärbasen öffentlich zu kennzeichnen und zu räumen und Programme durchzuführen, um mehr Bewusstsein für die Risiken durch Minen zu schaffen und weitere Opfer zu vermeiden." Außerdem, so Gosselin, hoffe er, dass die NATO-Konferenz zum Anlass genommen werde, um weitere finanzielle Unterstützung für Afghanistan anzukündigen.

Afghanistan Landminen Räumung in Herat EPA/FARAHNAZ KARIMY +++(c) dpa - Bildfunk+++
Die Beseitigung von explosiven Kriegsresten stellt Afghanistan vor große HerausforderungenBild: picture-alliance/dpa

Neue Chance

Denn die Geber ziehen sich immer mehr aus Projekten in Afghanistan zurück. Das liegt vor allem am Abzug der Truppen, aber auch an der unsicheren politischen Lage in Afghanistan aufgrund der Wahlen. Erst vor ein paar Tagen hat Rahmat eine Absage für die Weiterführung eines großen Projekts für ALSO bekommen. "Es ist sehr frustrierend", sagt er. Seine Gehhilfen lehnen an seinem Stuhl. Er braucht sie gerade nicht. Er lächelt. "Aber meine Arbeit gibt mir Kraft." Er genieße es, Menschen, denen es ähnlich ergangen sei wie ihm, wieder neuen Mut zu geben. Als Kind wurde er nach Deutschland geschickt, in das Friedensdorf International in Oberhausen, erzählt er. "Als ich meine Beine verlor, half man mir und gab mir eine Chance, neu anzufangen“. Diese Chance will er anderen auch bieten.

In weniger als vier Monaten will die NATO Afghanistan weitgehend verlassen haben. Bis dahin sollten jegliche explosiven Kriegsreste weggeschafft und Karten für Minenräumer angelegt worden sein, fordern sowohl Rahmat als auch Handicap International. "Es soll nicht noch eine Generation von Minenopfern aufwachsen", sagt Rahmat bestimmt.