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Explosive Lage in Libyen

23. Februar 2011

Nach den wüsten Drohungen von Machthaber al Gaddafi gegen sein eigenes Volk wird die Lage in Libyen zunehmend explosiv. Einheimische und Ausländer flüchten in Scharen. Die EU-Staaten stoppten ihren Waffenexport.

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Porteste in Tobruk (Foto: AP)
Die Opposition lässt nicht nachBild: dapd

Einen Tag nach der Ankündigung des 68-jährigen Staatschefs Muammar al Gaddafi, "Haus für Haus zu säubern", falls die Regierungsgegner an ihren Protesten festhalten sollten, haben sich Anhänger und Gegner Straßenkämpfe um die Kontrolle der Hauptstadt Tripolis geliefert. Anwohner berichteten am Mittwoch (23.02.2011), Milizen al Gaddafis feuerten willkürlich in den Straßen herum. Der arabische Fernsehsender Al-Dschasira zeigte Bilder mit Leichen in einem Krankenhaus der Hauptstadt. Genauere Informationen gibt es nicht, es sind nur wenige unabhängige Journalisten vor Ort.

Der seit mehr als 40 Jahren herrschende al Gaddafi hatte seine Anhänger zum Widerstand aufgerufen und mit "einem Gemetzel" gedroht. Der Staatschef selbst hält sich nach unbestätigten Berichten mit vier Brigaden der Sicherheitskräfte auf dem Stützpunkt Bab al-Asisija in Tripolis verschanzt.

Innenminister Abdulfattah Junis (Archivfoto: dpa)
Innenminister Junis, der seit Dienstag auf der Seite der Demonstranten stehtBild: picture alliance/dpa

Die im Westen des Landes gelegene Stadt Misrata soll inzwischen unter Kontrolle der Opposition sein. Der dort arbeitende Arzt Faradsch al Misrati und andere Augenzeugen erklärten in Telefonaten und über das Online-Netzwerk Facebook, Einwohner Misratas seien hupend durch die Straßen gefahren und hätten Fahnen aus der Zeit der 1969 gestürzten Monarchie gehisst. Misrata wäre die erste größere Stadt im Westen des Landes, die in der Hand von Regierungsgegnern ist.

Häfen in Libyen wurden geschlossen

Wegen der anhaltenden Gewalt sind sämtliche Häfen Libyens geschlossen worden. Darüber informierte die französische Großreederei CMA CGM in Paris. Dadurch könnte auch die Ausreise Tausender Ausländer erschwert werden. Die Türkei versucht derzeit, 25.000 Landsleute auf dem Seeweg in Sicherheit zu bringen, nachdem sie am Montag für ein Flugzeug keine Landeerlaubnis bekommen hatte. Auch Griechenland charterte ein Schiff, um seine Staatsbürger herauszuholen. Asiatische Länder wie China und Indien haben ebenfalls Tausende Gastarbeiter dort.

Nach Angaben der Vereinten Nationen fliehen Einheimische wie Ausländer zu Tausenden auch auf dem Landweg aus dem Wüstenstaat - und zwar in die Nachbarländer Ägypten und nach Tunesien. "Die Menschen wollen nur raus aus Libyen, um ihr Leben zu retten", sagte die Sprecherin des Flüchtlingshilfswerks UNHCR, Sybella Wilkes, in Genf. Die meisten Flüchtlinge hätten nichts außer ihren Kleidern bei sich.

Ägyptische Gastarbeiter am Grenzübergang (Foto: AP)
Ägyptische Gastarbeiter flüchten vor der Gewalt in ihre HeimatBild: AP

Italien befürchtet Exodus in biblischem Ausmaß

Die italienische Regierung befürchtet eine Flüchtlingswelle von mindestens 200.000 bis 300.000 Immigranten in Richtung Europa, falls Libyen im Chaos untergehen sollte. "Zu erwarten ist ein Exodus in biblischem Ausmaß, ein Problem, das keiner unterschätzen kann und darf", sagte Außenminister Franco Frattini in Rom. Er geht vor allem von einem Exodus aus dem südlichen Libyen aus, wo ein Drittel der Bevölkerung lebe. "Wir sprechen hier von zweieinhalb Millionen Menschen, die sich (bei einem Zusammenbruch des Systems) davonmachen, weil sie keine Arbeit mehr haben", betonte Frattini.

Bei den seit einer Woche anhaltenden Protesten gegen al Gaddafi sind nach Erkenntnissen der italienischen Regierung bis zu 1000 Menschen getötet worden. "Wir gehen davon aus, dass die Schätzungen glaubwürdig sind", sagte der Außenminister. Frattini fügte ergänzend hinzu, er habe die italienische Botschaft in Tripolis so verstanden, dass sich die östliche Region des Landes, Cyrenaica, nicht mehr unter der Kontrolle der Führung von Muammar al Gaddafi befinde.

EU stoppt Waffenexport

Gaddafi während seiner im Staatsfernsehen am Dienstag übertragenen Rede (Foto: AP)
Gaddafi drohte seinem Volk mit einem "Gemetzel"Bild: dapd

Die 27 Staaten der Europäischen Union haben als Reaktion auf das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen Demonstranten den Export aller Waffen nach Libyen gestoppt. "Jeglicher Waffenhandel ist ausgesetzt", sagte die Sprecherin der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton in Brüssel. Nach jüngsten Zahlen hatte der Diktator von der EU jedes Jahr Waffen im Wert von mehreren hundert Millionen Euro geliefert bekommen.

Die EU-Kommission setzte ihre Verhandlungen mit Libyen über ein Abkommen zum Kampf gegen illegale Einwanderung und zu Handelserleichterungen aus. Libyen ist ein wichtiges Durchgangsland für Migranten vor allem aus dem Sudan, dem Niger, dem Tschad, Eritrea und Somalia.

In die internationalen Bemühungen, das Blutvergießen zu stoppen, hat sich auch noch einmal UN-Generalsekretär Ban Ki Moon eingeschaltet und nach eigenen Angaben 40 Minuten lang mit al Gaddafi telefoniert. "Ich habe ihm ganz klar gesagt, dass die Gewalt aufhören muss - auf der Stelle", sagte Ban und fügte hinzu: "Das war kein einfaches Gespräch."

Autorin: Susanne Eickenfonder (dapd, afp, dpa, rtr, epd)
Redaktion: Marko Langer