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Extremismus und Religionsprivileg

11. November 2001

Auch als Konsequenz aus den Terroranschlägen in den USA strebt Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) eine wirksamere Bekämpfung verfassungsfeindlicher extremistischer Aktivitäten an.

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Ein Instrument dabei ist die seit längerem geplante Änderung des Vereinsgesetzes, das aus dem Jahr 1964 stammt. Damit soll das Verbot extremistischer Vereinigungen ermöglicht werden, die sich als Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften tarnen. In seiner bisherigen Form lässt das Vereinsrecht dies nicht zu, da es Kirchen und Religionsgemeinschaften generell aus dem Anwendungsbereich des Gesetzes ausnimmt und damit generell vor einem Verbot schützt.

Korrektur des Religionsprivilegs

Erste Überlegungen zur Korrektur dieses Religionsprivilegs enthielt bereits der 1998 vorgelegte Abschlussbericht der vom Bundestag in der vergangenen Wahlperiode eingesetzten Enquetekommission "sogenannte Sekten und Psychogruppen". Darin wird dem Bundestag empfohlen, durch eine Änderung des Vereinsrecht sicher zu stellen, dass das Wirken von Religionsgemeinschaften nicht gegen das Grundgesetz richtet.

Bereits vor den Anschlägen in den USA präsentierte Schily Anfang September den Gesetzentwurf, der derzeit mit den übrigen Bundesressorts und den Ländern abgestimmt wird. Zur Begründung verwies er auf fundamentalistisch-extremistische Gruppen des Islam in Deutschland. Unter dem Deckmantel religiöser Betätigung betrieben sie verfassungsfeindliche Propaganda und Agitation, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung richten. Um die Notwendigkeit der Gesetzesänderung zu dokumentieren, erwähnte der Innenminister als aktuelle Beispiel den sogenannten Kaplan-Verband, der übelste antisemitische Hetze betreibe, und Vorbeter bestimmter islamischer Zentren. Diesen riefen dazu auf, den Krieg in Palästina mit allen Mitteln zu unterstützen und "jüdische Terroristen" und die "amerikanischen Hunde" zu vernichten.

Vereinsrecht statt Strafrecht

Mit der Neuregelung, die voraussichtlich am Mittwoch vom Kabinett beschlossen wird, wird es möglich, derartige Gruppierungen mit Hilfe der Vereinsrechtes zu verbieten. Bisher konnten gegen Aktivitäten nur mit dem Strafrecht, etwa dem Straftatbestand der Volksverhetzung, oder mit Betätigungsverboten nach dem Ausländergesetz vorgegangen werden.

Der Zentralrat der Muslime in Deutschland hat die geplante Änderung des Vereinsgesetzes begrüßt. Die Offenlegung von Institutionen, die in Konflikt mit dem Grundgesetz geraten seien, werde die breite Masse der Muslime vor Pauschalverurteilungen schützen. Die "Würde der Religion" gebiete aber einen behutsamen Umgang mit allen islamischen Institutionen. "Jede Maßnahme muss die Unantastbarkeit vor allem der Moscheen als Gotteshäuser beachten", sagte Vorsitzender Nadeem Elyas.

"Nicht jede muslimische Organisation ist verfassungsfeindlich"

"Wir sind dafür, dass der Staat sich und uns schützt", sagte Elyas. "Nur, dieser Schutz darf nicht von vornherein jede muslimische Organisation als verfassungsfeindlich ansehen und unwürdig behandeln." Eine Prüfung der islamischen Vereine trage zur Entlastung der zu Unrecht Verdächtigten bei, sagte der Vorsitzende des Dachverbandes, dem 19 Organisationen und 500 Moscheegemeinden in Deutschland angeschlossen sind.

Elyas warnte vor einem generellen Entzug des Vereinsstatus islamischer Institutionen. Dieser Status sei für sie die einzige Möglichkeit, als Rechtsperson in der Öffentlichkeit zu agieren. Wenn diese Möglichkeit alternativlos gestrichen werde, "dann treibt man die muslimischen Organisationen in die Ungesetzlichkeit und fördert damit konspirative Vereinigungen".