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Exzellent im Geiste Humboldts

17. Oktober 2010

Die Berliner Humboldt-Universität wird 200 Jahre alt. 1810 wurde sie nach den Vorstellungen des Bildungsreformers Wilhelm von Humboldt gegründet. Heute kämpft das Haus erneut um den Titel einer Exzellenzuniversität.

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Humboldt-Universität (foto: picture alliance
Bild: picture-alliance/ ZB

Eine Gruppe überwiegend grauhaariger Damen und Herren steht vor der dunkelrot-marmornen Wand mit den Porträts der 28 Nobelpreisträger. Im ersten Stock des Hauptgebäudes der Humboldt-Universität, Berlin, Unter den Linden 6. Ehrfurcht liegt in ihren Gesichtern - und Stolz. Denn sie alle hier - Nobelpreisträger und Besucher - haben etwas gemeinsam: Sie sind Absolventen oder ehemalige Lehrende der Humboldt-Universität.

"Besonders gern hören die Leute hier immer die Geschichte von Werner Forßmann", sagt Juliane Kuczynski, die die Alumni während der Festwoche durchs Gebäude führt. Forßmann, erzählt sie, hatte sich 1929 nach seinem Medizinstudium als erster Mensch im Selbstversuch einen Herzkatheter gelegt. Er schob sich einen Gummischlauch von der Ellenbeugenvene bis zur rechten Herzkammer und dokumentierte das mit einer Röntgenaufnahme. Wegen dieses "Zirkus-Kunststücks" verlor er seine Stelle in der Klinik. Später war er Mitglied der NSDAP, der SA und des NS-Ärztebundes - und bekam dennoch für seine Verdienste in der therapeutischen Herzchirurgie 1954 zunächst die Leibniz-Medaille der Akademie der Wissenschaften der DDR und 1956 den Nobelpreis. Eine Biographie, sagt Kuczynski, die ein Stück HU-Geschichte spiegelt - in der sich wissenschaftlich wegweisende Epochen immer wieder mit Phasen des politischen und geistigen Niedergangs abwechselten.

Nach der Gründung "Weltzentrum der Wissenschaft"

Wilhelm Freiherr von Humboldt (Foto: dpa)
Wilhelm Freiherr von Humboldt reformierte das preußische BildungswesenBild: dpa - Bildarchiv

Gegründet nach den Vorstellungen vor allem des Bildungsreformers Wilhelm von Humboldt entwickelt sich die 1810 eröffnete Universität schnell zur größten und renommiertesten Universität Deutschlands. Humboldts Idee - einen Ort zu schaffen, an dem Forschung und Lehre eine Einheit bilden und an dem Wissenschaft um ihrer selbst willen betrieben wird - macht die Berliner Alma Mater, ab 1828 unter dem Namen "Friedrich-Wilhelms-Universität", weltberühmt. Hegel hält Vorlesungen, Karl Marx, Heinrich Heine und Otto von Bismarck studieren, Max Planck, Robert Koch und Albert Einstein forschen hier.

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten verschwindet der fortschrittliche Geist der Gründerjahre: Jüdische und kommunistische Wissenschaftler und Studenten werden degradiert, diffamiert, entlassen, boykottiert, verprügelt. Viele Studenten der Universität sind in Nazi-Verbindungen organisiert und vor allem sie sind es, die 1933 die Bücherverbrennung auf dem Opernplatz gegenüber dem Universitätsgebäude organisieren. Immerhin, sagt Ingrid Graupner, die jahrelang die Geschichte der Humboldt-Universität erforscht hat, hätten Recherchen inzwischen ergeben, dass kein einziges Buch aus der Bibliothek der Universität damals den Flammen zum Opfer fiel. "Die Bibliotheksangestellten waren preußische Beamte. Ohne Leihschein und Order von oben rückten die nichts raus."

Bücherverbrennung (Foto: AP)
Die Bücherverbrennung der NazisBild: AP

Neue Hoffnung nach dem Krieg

Dann, kurz nach dem Krieg herrschte zunächst wieder Aufbruchstimmung, erzählt Eva Zamisch, die 1946 zu den ersten Studenten gehörte, die sich an der völlig zerstörten Universität immatrikulierten. "Ich war gegen die Nazis, meine Familie wurde verfolgt", sagt die 84-jährige, weißhaarige Frau, "aus Freude über die Befreiung habe ich dann damals Slawistik gewählt." Zusammen mit ihren Kommilitonen hilft sie, die Trümmer zu beseitigen, die meisten Seminare finden zu der Zeit in der Staatsbibliothek statt. "Die Fenster dort waren mit Pappe verschlossen und es gab einen kleinen Kanonenofen", ergänzt Hans-Ulrich Abshagen, der von 1946 bis 1952 Amerikanistik studierte. "Es wurde erwartet, dass jeder Student morgens mal ein halbes oder ein ganzes Brikett mitbringt, damit wir dort nicht in der Kälte saßen."

Der beginnende Kalte Krieg aber bringt neue Konflikte - Studenten protestieren gegen die zunehmende kommunistische Einflussnahme auf die Universität seitens der sowjetischen Militärverwaltung und der neugeschaffenen Zentralverwaltung für Volksbildung. Wieder gibt es Denunziationen, Entlassungen, Verhaftungen. 1948 gründen Studenten schließlich die Freie Universität Berlin, im Sinne Humboldts, im damaligen amerikanischen Sektor der Stadt. Die DDR benennt die alte Berliner Universität 1949 schließlich in Humboldt-Universität um -wer bleibt, arrangiert sich.

Neue Konflikte im Kalten Krieg

"Wir durften alles lesen", erzählt Renate Willbier, Studentin der Wirtschaftswissenschaften von 1958 bis 1963, "alle bürgerlichen Ökonomen, auch Max Weber, sogar Ludwig Erhard. Man musste eben danach fragen, in der Bibliothek. Man musste einfach nur den Mund aufmachen." "Es war schon sehr stark ideologisch geprägt und wir waren keine Widerstandskämpfer", schränkt ihr damaliger Kommilitone Dietrich Miller ein, "wir kannten unsere Grenzen. Aber in denen haben wir uns so gut es ging verwirklicht. Wir haben gelernt, an allem zu zweifeln und zwischen den Zeilen zu lesen."

Ende der 1960er Jahre politisiert sich auch die Studentenschaft der HU - große Proteste allerdings wie in Frankreich, Westdeutschland oder der damaligen Tschechoslowakei bleiben aus. Wolfgang Thierse, heute Bundestagspräsident und von 1964 bis 1968 Student der Germanistik und Kulturwissenschaften an der Humboldt-Universität, erinnert sich "sehr lebendig an unerhörte Disziplinierungsaktionen, gerade gegenüber den Wissenschaftlern, den Intellektuellen in der DDR. Alle sollten Zustimmungs- und Jubelerklärungen zum Einmarsch in die Tschechoslowakei abliefern. Wer das nicht tat, bekam ein Parteiverfahren oder ihm drohte die Exmatrikulation. Es hat vielerlei Aktivitäten gegeben in diesem halben Jahr: Flugblätter, interne Aufrufe. Manche haben die Folgen zu tragen gehabt, sie wurden exmatrikuliert oder für ein oder zwei Jahre 'in die Produktion' geschickt, um sich zu 'bewähren'. Das war schon eine turbulente Zeit."

Humboldt-Uni (Foto: AP)
Die Humboldt-Uni heuteBild: AP

DDR-Zeit noch immer Randthema

Offensiven Protest gibt es erst nach der Wende - als die HU-Studenten gegen die Abwicklung marxistisch indoktrinierter Fächer protestieren und sich hinter ihren neu gewählten Rektor Heinrich Fink stellen, der 1991 wegen des Verdachts auf informelle Mitarbeit bei der Staatssicherheit entlassen worden war. Wie in vielen anderen ostdeutschen Hochschulen bleibe die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit auch an der Humboldt-Uni noch "ein Randthema", monierte der DDR-Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk Ende September im Berliner "Tagesspiegel". Und kritisiert vor allem Jan-Hendrik Olbertz, den Erziehungswissenschaftler und ehemaligen Kultusminister von Sachsen-Anhalt, der am 18. Oktober 2010 das Amt des Präsidenten der Humboldt-Universität übernimmt. Dessen Dissertation, so Kowalczuk, strotze vor "ideologischen Plattitüden", Zitaten kommunistischer Funktionäre und sei "von der ersten bis zur letzten Seite dem Marxismus-Leninismus verpflichtet".

Auf dem Weg zur Exzellenzuniversität

Olbertz selbst indes schaut lieber nach vorn: Im nächsten Jahr steht erneut die Bewerbung der Humboldt-Universität um den Titel der Exzellenzuniversität an. Man werde alle Kräfte darauf verwenden, diesmal erfolgreich zu sein, sagt Olbertz - und zwar ganz im Geiste Humboldts. "Ich wünsche mir die Humboldt-Uni als lebendige Einheit aus Forschungsuniversität und Universität, die eine breite und solide akademische Ausbildung für eine Vielzahl von Berufen bietet. Was die Universität lehrt, muss sie selbst entwickeln. Und ansonsten sind wir eine Universität mit einem ausbalancierten Profil zwischen Geistes- und Naturwissenschaften und Grundlagenforschung und Anwendungsforschung."

Zudem solle Interdisziplinarität wieder stärkeres Gewicht bekommen - durch den Ausbau des Forschungsverbundes der Naturwissenschaften in Adlershof. "Wenn wir erfolgreich sind in der Spitzenforschung und die Übersetzung in die Lehre gelingt, dann können wir eine exzellente Universität sein und in weiten Punkten sind wir das schon."

Autorin: Lydia Heller

Redaktion: Svenja Üing / Gaby Reucher