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Fünf Seelen wohnen ach in meiner Brust

27. Juli 2004

Sorgt der offenkundige Rechtsruck der Republikaner in den USA möglicherweise für eine niedrige Wahlbeteiligung? Der Politologe Thomas Greven befürchtet, dass "moderate Amerikaner" bei der Wahl zu Hause bleiben werden.

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Der konservative Kolumnist William Safire argumentierte jüngst in der New York Times, dass die verschiedenen philosophischen Strömungen der Republikanischen Partei versöhnt werden können, ja nicht einmal versöhnt werden müssten: Sie seien nämlich nicht in Parteiflügeln organisiert, sondern die wirtschaftskonservativen, sozialkonservativen, libertären, idealistischen und traditionalistischen Elemente seien lediglich Ausdruck einer durch eine stabile Wertebasis aushaltbaren "kognitiven Dissonanz". Es gebe Prinzipien, auf die sich sein "Republikanisches Gehirn" immer beziehen könnte, schreibt Safire, allen voran das Bekenntnis zur individuellen Selbstverantwortung. Jeder politisch Aktive brauche zudem eine politische Heimat, und am Wahltag müsse man sich eben für eine Seite entscheiden.

Rechtsruck verschreckt moderate Republikaner

Diese letzte Bemerkung von Safire zeigt seine tatsächliche Sorge kurz vor Beginn der heißen Wahlkampfphase im Sommer 2004: Dass der offenkundige Rechtsruck der Republikanischen Partei moderate Wählergruppen und selbst moderate Aktivisten so stark verschrecken könnte, dass sie am Wahltag zu Hause bleiben, oder gar Demokratisch wählen.

Der Rechtsruck erfolgte im Kontext einer Polarisierung der amerikanischen Bevölkerung und damit auch der Parteien. Es gibt ein religiöses und ein säkulares Amerika und die Republikanische Partei ist stark bei allen Gruppen, die ihre Religiösität besonders betonen, insbesondere bei den 39 Prozent, die sich als wiedergeborene Christen bezeichnen und bei den ca. 17 Prozent weißen Evangelikalen (wobei es hier Überschneidungen gibt).

Viele Zwickmühlen

Evangelikale wählen zu ca. 80 Prozent Republikanisch. Das Dilemma für die Partei ist aber, dass eine von der Christlichen Rechten geprägte sozialkonservative Politik viele Moderate abschrecken könnte, so wie es Safire offenkundig befürchtet. Das gilt ebenso für eine Politik, welche die Liberalisierungs- und Deregulierungsziele des wirtschaftslibertären Flügels zu weit treibt, wenn z.B. Umweltsünder nicht länger bestraft werden oder durch mangelhafte Regierungskontrollen Lebensmittelvergiftungen um sich greifen.

Beide Philosophien, die evangelikal gefärbte sozialkonservative und die extrem wirtschaftslibertäre – die nur dann nicht greift, wenn Parteifreunde aus der Wirtschaft um Unterstützung bitten – haben eine geographische Dimension: Sie stehen für Politikkonzepte, die im amerikanischen Süden besonders verbreitet sind.

Geographische Dimensionen

Auch die mögliche Abschreckung der Moderaten durch diese Politik hat eine geographische Dimension. Obwohl es auch im Süden viele moderate Bürger gibt, spielen sie momentan wegen der Übermacht der Konservativen eine geringe Rolle. Ganz anders im Nordosten und an der Westküste, im Mittleren Westen und in Teilen des alten Industriegürtels. Dort könnten die Republikaner Gefahr laufen, ihre letzten Bastionen zu verlieren, wenn die Moderaten der Wahl fernbleiben. Diese würden sich durch eine solche Wahlenthaltung der großen Zahl amerikanischer Bürger anschließen, die an Wahlen nicht teilnimmt.

Bei Präsidentschaftswahlen beteiligt sich heute etwa die Hälfte der Bürger, bei Kongresszwischenwahlen nur ungefähr ein Drittel. Viele Nicht-Wähler sind dauerhaft vom politischen Prozess entfremdet. Ein zentrales Problem ist die offenkundige Alternativlosigkeit auf vielen politischen Feldern. Weder Republikaner noch Demokraten bemühen sich intensiv um Wähler aus den unteren Schichten der Gesellschaft. Und auch Mittelschichten, die durch die Globalisierung unter ökonomischen Druck geraten sind, finden sich zunehmend in dieser Situation. Kommen jetzt die moderaten Republikaner hinzu?

Dr. Thomas Greven ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien der Freien Universität Berlin. Er arbeitet zurzeit an einem Buch über die Republikanische Partei in den USA.