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'Smena' heißt Wechsel

Gesine Dornblüth19. April 2008

Die Präsidentenwahl in Russland hat es gezeigt: Die Opposition dort kämpf derzeit auf verlorenem Posten. Im Riesenreich gibt es dennoch eine Jugendbewegung, die gewaltlos Widerstand leistet.

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Russlands Präsident Putin
Russlands Präsident Putin, hier beim Besuch in Libyen, mag keine SystemkritikBild: AP

Eine Ausfallstraße am Stadtrand von Moskau. Nahe der Metrostation reihen sich Kioske und Blumenstände aneinander, gerahmt von Plattenbau-Hochhäusern. Ein Mann Mitte 20 steht an einer Fußgängerampel. Er trägt Jeans, einen Anorak und eine altmodische Herrentasche über der Schulter. Kolja ist Aktivist der oppositionellen Jugendbewegung "Smena", "Wechsel". Er ist auf dem Weg zu einem Treffen mit Gleichgesinnten. "Wir gehen in eine Wohnung. Bis vor einem Jahr hatten wir ein Büro, aber der Vermieter wurde gezwungen, uns rauszuschmeißen. Ihm wurde gesagt, wir seien Jugendliche, die eine falsche Position einnehmen", sagt er. Das sei in Russland so: Wer nicht für Putin sei, habe unrecht.

Präsident Putin ist in Koljas Augen immer noch der starke Mann in Russland. Aber auch von dessen Nachfolger Dmitrij Medwedew erwartet er nichts Gutes. Dessen Image als weicher Liberaler werde schnell verfliegen. Smena gehört dem Oppositionsbündnis "Anderes Russland" des ehemaligen Schachweltmeisters Garri Kasparov an. Smena hat nach eigenen Angaben einen harten Kern von etwa zwanzig Aktivisten. Dazu kommen einige Dutzend Unterstützer in den Regionen. Es ist ein loses Netzwerk, das mit gewaltlosem Widerstand einen Regimewechsel herbeiführen will. Gelernt haben sie das von der Jugendbewegung "Pora" in der Ukraine. Zwei Monate waren Kolja und seine Freunde dort, während der so genannten orangefarbenen Revolution.

Wahlkommmission tat Video als Fälschung ab

Die Jugendorganisation Nashi stützt den Präsidenten - AP
Massenjubel für Putin: Die Jugendorganisation Nashi stützt den PräsidentenBild: AP

Die Wohnung ist chaotisch: Ein paar alte Stühle, ein Telefon, ein Computer, ein vollgestopftes Bücherregal. Mischa ist Politologe. Er trägt ein schwarzes T-Shirt mit einer ablaufendem Uhr auf der Brust: dem Logo der ukrainischen Bewegung "Pora". "Es ist schon ganz verwaschen. Aber ich liebe das T-Shirt. Denn Pora hat mir Energie und Schwung gegeben." Energie brauchen die Jugendlichen. Bei der Parlamentswahl im Dezember 2007 wiesen sie auf Unregelmäßigkeiten hin. Ein Aktivist von Smena hatte mit seinem Mobiltelefon gefilmt, wie ein Mitglied der Wahlkommission mehrere Wahlzettel nacheinander unter dem Schreibtisch hervorzog und in die Urne warf. Die Zentrale Wahlkommission tat das Video als "Fälschung" ab und sprach von "Provokation".

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Mischa und seine Mitstreiter wollen sich davon nicht entmutigen lassen. Sie setzen nun auf kleine Veränderungen. "Ich habe in der Ukraine gelernt, dass wir wirklich etwas verändern können. Das funktioniert. Vielleicht nur im kleinen Maßstab, in unserem Wohnbezirk oder auf studentischer Ebene, aber trotzdem." In Mischas Bezirk gab es eine enorme Rattenplage. "Das klingt lächerlich, aber irgendwann ist es einfach schrecklich", sagt er. Die Bewohner hatten sich damit abgefunden. Wir haben dann eine Kampagne gestartet, und jetzt unternimmt die Bezirksverwaltung wirklich etwas."

Für ihren Einsatz werden die Aktivisten von Smena immer wieder verprügelt und festgenommen, zuletzt beim "Marsch der Nicht Einverstandenen" am Tag nach der Präsidentenwahl Anfang März dieses Jahres. Sie werden wegen solcher Aktionen als "Staatsfeinde" oder "ausländische Spione" verunglimpft.

Katja läuft immer ganz vorne mit

Russische Jugendliche zeigen kaum Interesse für Politik
Szene in Sankt Petersburg: Russische Jugendliche zeigen kaum Interesse für PolitikBild: dpa - Bildarchiv

Auf dem Sofa sitzt Katja, sie studiert Sozialarbeit. Sie laufe bei jeder Demonstration vorn weg, sagen die Jungen anerkennend über Katja. Die lächelt, halb verlegen, halb stolz. Während des Prozesses gegen den mittlerweile inhaftierten Unternehmer Michail Chodorkovskij demonstrierten sie und ihre Freunde zusammen mit anderen Organisationen vor dem Gericht. "Daraus ist Smena entstanden. Uns verbinden gemeinsame Ideen. Das ist mein Ding hier", sagt Katja.

Doch so wie Katja denken nur wenige. Das unabhängige Levada-Institut hat in Umfragen herausgefunden, dass sich das Gros der russischen Jugendlichen überhaupt nicht für Politik interessiert. Auch deshalb seien in Russland zurzeit keine Massenproteste möglich, erläutert Betriebswirt Kostja, der Wortführer. Zudem fehle ihnen das Geld. "Wer in Russland die Energievorräte kontrolliert, kontrolliert alles. Das ist die Machtelite um Putin." In der Ukraine hätten Millionäre gegen Milliardäre gekämpft. In Russland gebe es niemanden, der reich genug wäre, um es mit der von Putin organisierten "Exportoligarchie" aufzunehmen, sagt Kostja. "Und deshalb bereiten wir uns auf einen hartnäckigen Kampf vor, der mehr als ein Jahrzehnt dauern wird."

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