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Für und wider die fünf Säulen

Bernd Gräßler29. Oktober 2002

Es ist parlamentarische Tradition, dass der gewählte Kanzler zu Beginn seiner Amtszeit eine Regierungserklärung abgibt. Der Widerspruch der Opposition ist ebenso traditionell.

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Scharf angegriffen: Kanzler SchröderBild: AP

Bundeskanzler Gerhard Schröder hat die Deutschen zu einer gemeinsamen Anstrengung aufgerufen, um verkrustete Strukturen zu überwinden und Reformen in Deutschland voranzubringen. In seiner ersten Regierungserklärung seit der Wiederwahl nahm der sozialdemokratische Kanzler eine Anleihe beim früheren US-Präsidenten John F. Kennedy auf, der einmal gesagt hatte: Frage nicht, was Dein Land für dich tun kann, sondern frage, was Du für dein Land tun kannst? Schröder formulierte es so: "Es geht nicht darum, immer nur zu fragen, was nicht geht. Es geht vielmehr darum zu fragen, was jede und jeder Einzelne von uns dazu beitragen kann, dass es geht."

Die fünf Säulen Schröders

Schröder nannte fünf zentrale Säulen seiner Politik in den kommenden vier Jahren:

  • Strategische Investitionen in Bildung, Forschung, Infrastruktur, Familien und Umwelt
  • Fortsetzung der Haushaltskonsolidierung und Einsparungen bei konsumtiven, also für den Verbrauch bestimmten Staatsausgaben und Subventionen
  • Nachhaltige Entlastung der Bürger bei Steuern und Abgaben
  • Strukturreformen am Arbeitsmarkt, bei Rente und Gesundheit, um die sozialen Sicherungssysteme zukunftsfähig zu machen und die Lohnnebenkosten nachhaltig zu senken
  • Abbau unnötiger Bürokratie

"Wählertäuschung"

Mit Blick auf den im rot-grünen Regierungsprogramm angekündigten Abbau von Steuerprivilegien und die Erhöhung von Abgaben sprach die CDU-Vorsitzende Angela Merkel von "Wählertäuschung". Frau Merkel, die im neuen Bundestag auch den Vorsitz der CDU/CSU-Fraktion übernommen hat, sagte, mit ihrem Schlingerkurs in der Wirtschafts- und Finanzpolitik schade die Regierung nachhaltig den Menschen und den Unternehmen im Land. Dem Bundeskanzler sprach sie die Fähigkeit ab, das Land zum Wohl seiner Bürger zu regieren. Schröder versuche zwar, das Land irgendwie von Ereignis zu Ereignis zu bringen, aber die Fähigkeit, dieses Land zu führen, und die schöpferischen Kräfte in ihm zu wecken, gehe ihm ab. Daher gebe es laut Merkel nur eine Schlussfolgerung: "Rot-Grün macht arm."

Auch in der Irakfrage griff die christdemokrarische
Oppositionsführerin den Kanzler scharf an. Sein "Nein" zu einer deutschen Beteiligung an einem Krieg gegen den Irak, mit dem Sozialdemokraten und Grüne zahlreiche Wählerstimmen gewonnen hatten, sei nicht ehrlich und werde im Ernstfall keinen Bestand haben.

Militärisches Engagement, aber nicht gegen den Irak

Schröder sagte hingegen, er sehe Chancen für eine friedliche Lösung des Irak-Konflikts. Ein Zeichen dafür sei die internationale Diskussion um das Vorgehen gegen den Irak vor allem im Weltsicherheitsrat. Eine konsequente Politik der Abrüstung und internationaler Kontrolle müsse vorrangiges Ziel bleiben. "Das ist einer der Gründe", so Schröder weiter, "warum gilt, was wir immer gesagt haben: dass wir uns an einer militärischen Intervention im Irak nicht beteiligen werden".

Vor dem Hintergrund der Krise in den Beziehungen zu Washington wegen der Irak-Kontroverse bekräftigte der Kanzler die "strategische Bedeutung" und den hohen Rang der Kontakte zur US-Regierung. Dies schließe unterschiedliche Bewertungen in ökonomischen und politischen Fragen nicht aus. Der Kanzler bekräftigte die Bereitschaft Deutschlands zu weiterem militärischem Engagement im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Deutschland sei mit fast 10.000 Soldaten nach den USA der größte Truppensteller in internationalen Einsätzen. Im außenpolitischen Teil forderte Schröder nach dem Geiseldrama von Moskau Russland zu einer politischen Lösung des Tschetschenien-Konflikts auf.

Streitpunkt Türkei

Auch auf die EU-Erweiterung ging Schröder ein. Er sei
zuversichtlich, dass die Beitrittsverhandlungen mit den zehn Ländern wie geplant Mitte Dezember abgeschlossen werden, nachdem ein Kompromiss zur Begrenzung der Agrarausgaben gefunden wurde. In der Debatte wandten sich die Christdemokraten und die Liberalen scharf gegen eine von der Bundesregierung befürwortete konkrete EU-Beitrittsperspektive für die Türkei. Während die rot-grüne Bundesregierung noch in diesem Jahr ein Signal der Europäischen Union für die Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit der Türkei erreichen will, sagte FDP-Parteichef Guido Westerwelle, solange in türkischen Gefängnissen gefoltert werde, sei es unvorstellbar, der Türkei eine baldige Aufnahme in die Gemeinschaft in Aussicht zu stellen.