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Glaube

Fürchte dich nicht (Mt 1,18-24)

16. Dezember 2016

Ein Kuckuckskind annehmen? Pater Hans Peters SVD blickt im Beitrag der katholischen Kirche auf den inneren Konflikt von Marias Verlobten Josef. Der Traum, der sämtliche Bedenken ausräumt, lässt aufhorchen.

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Auf dem Weg nach Bethlehem: Josef nahm Maria und ihr Kind ganz und gar an, obwohl er wusste, dass nicht er der Vater sein konnte.Bild: pixelio.de/E. Patzal

Das hätte ich mir nicht träumen lassen, dass mir so etwas passieren würde – und es kann für beides zutreffen, für das große Glück, aber auch für das große Unglück. So ähnlich könnte wohl Josef gedacht haben – und da fängt es schon an, Glück oder Unglück? Die Bibel spricht von Josef, dem zugemutet wird, ein Kind, mit dem Maria, seine Verlobte, schwanger geht, als sein Kind anzunehmen (Mt 1,18-24). Das darf man heftig nennen! Und umso mehr ist die erste Reaktion Josefs verständlich: heimlich entlassen, wenn auch nicht bloßstellen, es ist alles ja auch so schlimm genug. Aber dann: „Während er noch darüber nachdachte…“ – Josef überkommt der Schlaf und er träumt, dass ein Engel zu ihm spricht: „Josef, Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen; denn das Kind, das sie erwartet ist vom Heiligen Geist“.

Im Traum zugefallen

Die entscheidende Botschaft ergeht im Traum. Wenn es etwas Typisches für den Traum gibt, dann die Tatsache, dass Träume vom Menschen nicht produziert werden können, er kann sie nicht steuern oder programmieren. Für den Erfinder der Psychoanalyse, Sigmund Freud, war der Traum, der „königliche Weg“ zum Unbewussten, jener seelischen Wirklichkeit, von der aus mehr Handlungen und Reaktionen bestimmt werden als uns bisweilen lieb ist. Biblische Schriftsteller wussten nicht um diese seelischen Abläufe im Sinne der Psychoanalyse, aber sie wussten, wie die menschliche Seele „geht“. Sie nehmen den Traum als Zeichen für die Wirklichkeit, die der Mensch selbst nicht machen kann, als Mittel, um seine Botschaft rüber zu bringen: was hier geschieht ist nicht von Menschen gemacht, das kann nur vom Menschen empfangen werden. Hier liegt auch der Sinn, wenn an anderer Stelle von der „Jungfrau Maria“ (Lk 1, 27) die Rede ist: was hier geschieht, dass Gott einen neuen Anfang in der verworrenen Menschheitsgeschichte macht, das kann der Mensch nur „empfangen“ und nicht machen, wofür der zeugende leibliche Vater stehen würde.

Für Sigmund Freud, dem Erfinder der Psychoanalyse, war der Traum der königliche Weg zum Unbewussten. Die Menschen der Bibel scheinen um diese Wirklichkeit noch selbstverständlich gewusst haben. Bei uns Heutigen kommt selbstverständlich sofort der kritische Verstand dazwischen – wie bei Josef –, der von sich aus eine Erklärung oder Lösung finden will. Aber in Sachen Gottes geht es nicht auf diese Weise.

Auf die Welt der Träume zu lauschen, das steht jener Lebenseinstellung entgegen, die der vor nur wenigen Jahren verstorbene Psychoanalytiker Horst Eberhard Richter in einer Analyse der geistigen Entwicklung der Neuzeit als den „Gotteskomplex“1 des neuzeitlichen Menschen bezeichnet hat. Das Ergebnis dieser Entwicklung ist die Vorstellung, dass das Entscheidende, ja praktisch alles im Leben vom Menschen selbst gemacht werden kann und muss. Alles selbst in der Hand zu haben, alles selbst kontrollieren zu wollen, alles selbst machen zu wollen – das ist die Devise des neuzeitlichen Menschen, praktisch die Stelle eines Gottes einnehmend.

Der Sprache des Engels lauschen

So sehr Selbstverantwortung und Selbstgestaltung von entscheidender Bedeutung sind, spätestens in dem Moment, in dem sich jemand verliebt, weiß er, dass ihm das ganz einfach passiert ist, zugefallen, wie es englisch ganz treffend ausgedrückt wird: „fallen in love“. Der Traum des Josef erinnert uns an diese Wirklichkeit, dass es Dinge in unserem Leben gibt, die wir nicht machen können, die uns zufallen, Freude und Leid, und wo es darauf ankäme, der Sprache des Engels zu lauschen, ja zu lauschen, nach innen, auf die inneren Schwingungen, auf die kaum hörbaren Töne. Dazu bedarf es immer wieder Momente der Stille, des Rückzugs, des Nachdenkens, wie Josef es tat.

Keiner hat den Überblick über sein ganzes Leben, oft ist das Hier und Jetzt, das Heute, der entscheidende Moment. Dabei sein und mittun bei einem größeren Ganzen, ohne in der Mitte zu stehen. Auf den Weihnachtsbildern steht er meistens irgendwo am Rande, mit nachdenklichem, ja bisweilen bekümmertem Gesicht, fehlt ihm doch nach wie vor der große Über- und Durchblick. Entscheidend ist der Augenblick, da weiß Josef, was zu tun ist – aus der Weisung des Engels. Der Engel darf auch für das innerste Selbst des Menschen stehen, jene Mitte und Tiefe, wo der Mensch selbst weiß, was für ihn selbst dran ist, wo er sich auch für andere einlässt auf das, von dem er meint, dass es jetzt für ihn und für andere gut ist. 

Josef, ein Gerechter, der auf dem rechten Weg geht, der über Gottes Weisung nachsinnt bei Tag und bei Nacht (Ps 1). Nachsinnen ist angesagt, und nicht voreilig alles abhaken, verdrängen, was sich ungewöhnlich, nicht erwartet und nicht geplant in unser Leben eindrängt. Nachdenklichkeit als adventliche Haltung, Dabeisein, zur Stelle sein, mitwirken, ohne im Mittelpunkt stehen zu müssen, das alles könnten wir von Josef lernen. Wir könnten von ihm lernen, wie Gott kommt – und das nicht nur im Advent.

1 Horst Erhard Richter, Gotteskomplex, Reinbek 1979.

Pater Hans Peters SVD, Steyler Missionar, Goch
Bild: DBK

Pater Hans Peters SVD gehört seit 1967 dem Orden der Steyler Missionare an, in dem er in vielen verschiedenen Funktionen gewirkt hat und bis heute wirkt, unter anderem in der Jugendarbeit, als Novizenmeister und im Rektorat des Missionshauses St. Michael in Steyl (Niederlande). Seit 2008 arbeitet der gefragte Seelsorger und Lebensberater als Wallfahrtsseelsorger in Goch am Niederrhein. Seit 1994 schreibt er regelmäßig für die christliche Familienzeitschrift „Stadt Gottes“.

Kirchliche Verantwortung: Dr. Silvia Becker, Katholische Hörfunkbeauftragte und Alfred Herrmann