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Indizienfall Pechstein

5. Juli 2009

Der Eisschnelllauf-Weltverband ISU hat Claudia Pechstein wegen Dopings für zwei Jahre gesperrt und das, obwohl sie nicht positiv getestet worden ist. Inzwischen schlägt der Fall immer höhere Wellen.

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Eisschnellläuferin Claudia Pechstein auf dem Eis. Foto: dpa
Unrühmlicher Abgang?Bild: picture-alliance/ dpa

Sollte die Sperre Bestand haben, wäre sie ein Novum im Sport. Noch nie wurde ein Spitzenathlet einzig auf Grund von Indizien für zwei Jahre aus dem Verkehr gezogen. In einigen Sportarten war es bisher gängige Praxis, Sportler mit auffälligen Blutwerten zu deren gesundheitlichem Schutz für einen kürzeren Zeitraum nicht starten zu lassen, im nordischen Skisport etwa fünf Tage lang.

Warten auf positive Proben

Im Profi-Radsport sind Blutpässe eingeführt worden, um über längere Zeiträume das Blutprofil beobachten zu können. Der Weltverband UCI benannte vor kurzem fünf Fahrer mit auffälligen Werten, leitete die Unterlagen aber nur an die nationalen Verbände weiter, die über eine mögliche Sperre entscheiden sollen. Die juristische Lage ist der UCI offenbar zu prekär. Der Weltverband hat die Devise ausgegeben, Profis mit auffälligem Blutprofil häufiger zu kontrollieren, um sie dann bei einer positiven Dopingprobe auf juristisch sicherer Grundlage sperren zu können.

Doping oder genetische Blutkrankheit?

Die beiden Mehrkampf-Europameister Sven Kramer aus den Niederlanden und Claudia Pechstein mit Siegerkranz. Foto: dpa
Mehrkampf-Europameisterin 2009 (li. der Titelträger der Männer, Sven Kramer)Bild: picture-alliance/ dpa

Claudia Pechstein fiel bei den Mehrkampf-Weltmeisterschaften Anfang Februar in Hamar in Norwegen auf. In ihrem Blut wurde eine erhöhte Zahl von Retikulozyten, einer Vorstufe roter Blutkörperchen, gefunden. Ein Hinweis auf mögliches Blutdoping, aber auch ein Beweis? Der Griff zu verbotenen Substanzen konnte der 37-Jährigen bisher nicht nachgewiesen werden. Alle Dopingproben waren negativ. Der Anwalt des Eisschnelllauf-Stars, Simon Bergmann, verweist auf die Aussagen von Sachverständigen, "dass die erhöhten Werte auf mehrere Ursachen zurückgeführt werden können, beispielsweise auf eine genetische Blutkrankheit". Das aber hält der Heidelberger Doping-Experte Prof. Werner Franke für Unsinn. Eine derartige Krankheit sei bei einer Spitzensportlerin, die über so viele Jahre Top-Leistungen erbracht habe, nicht denkbar. Falls es auch keine anderen Krankheiten gäbe, lägen hier sichere Zeichen zur Stimulation durch EPO vor. Allerdings: Ein Beweis für Doping könne dies aber nicht sein.

CAS soll angerufen werden

Die Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG) stellte sich hinter Pechstein und kündigte an, ebenso wie die Sportlerin vor dem Internationalen Sportgerichtshof (CAS) Berufung gegen die Sperre einzulegen. Dazu werde nun ein beschleunigtes Verfahren beim CAS in Lausanne beantragt. Wenig Chancen auf einen erfolgreichen Einspruch sieht der Nürnberger Doping-Experte Fritz Sörgel. Im "Aktuellen Sportstudio" des ZDF meinte er, es gäbe kein Argument, wie der Wert, der klar über der Höchstgrenze gelegen habe, zu erklären sei. Auch der Vorstandsvorsitzende der Nationalen Anti-Doping Agentur (NADA), Armin Baumert, ist sicher, dass das Urteil vor dem CAS Bestand haben werde. Der neue WADA-Code ermögliche die Sperre nach solchen Indizien. Beobachter sind einhellig der Meinung, dass eine derartige CAS-Entscheidung wegweisenden Charakter haben würde und verweisen auf die anhängigen Fälle im Radsport.

DOSB wartet ab

Der Deutsche Olympische Sportbund formulierte vorsichtig: "Das Präsidium des DOSB ist bestürzt über die Dopingsperre gegen Claudia Pechstein." Die Sanktion beruhe allein auf Indizien, deren Beweiskraft von namhaften Experten bezweifelt werde. "Es wird von dem vor dem CAS laufenden Verfahren abhängen, ob dem Internationalen Verband der Beweis eines Verstoßes gegen die Anti-Doping-Regeln gelingt." DOSB-Präsident Dr. Thomas Bach, hält die Fälle Pechstein und Isabel Werth für nicht vergleichbar, da im Fall Isabel Werth ein positiver Befund vorläge. Bei Claudia Pechstein gelte bis zu einem Beweis die Unschuldsvermutung.

"Jeder muss mir glauben. Oder auch nicht."

Die deutsche Eisschnelläuferin Claudia Pechstein streckt nach einem 1500 Meter Lauf die Zunge heraus. Foto: dpa
"Kuhhandel" mit dem WeltverbandBild: picture-alliance/ dpa

Claudia Pechstein weist alle Vorwürfe zurück. "Ich weiß, dass ich unschuldig und sauber bin, wie wir Sportler sagen. Jeder andere kann es nicht wissen, sondern muss mir vertrauen und mir glauben. Oder auch nicht." Ihr einziger Fehler - so schreibt sie auf ihrer Internetseite - sei gewesen, sich auf einen "Kuhhandel" mit dem Weltverband einzulassen. Auf dessen Vorschlag habe sie sich bei der WM in Hamar krank gemeldet, um die Frage der ungewöhnlichen Blutwerte nicht in der Öffentlichkeit, sondern in Ruhe intern zu klären. Diesen Deal hat die ISU inzwischen durch den zuständigen Arzt Harm Kuipers bestritten. Warum sich Claudia Pechstein und der Verband darauf eingelassen haben, ist noch ungeklärt. DESG-Präsident Gerd Heinze erweiterte im Aktuellen Sportstudio des ZDF die Vorwürfe gegen die ISU: Diese habe dem Deutschen Verband Ende Juni sogar den Vorschlag gemacht, das Verfahren zu beenden, wenn Claudia Pechstein umgehend ihre aktive Laufbahn beende.

Pechstein erfolgreichste deutsche Winter-Olympionikin

Claudia Pechstein hat bei Olympischen Winterspielen insgesamt fünf Gold-, zwei Silber- und zwei Bronze-Medaillen gewonnen. Außerdem sammelte sie fünf Weltmeister- und drei Europameister-Titel. Eigentlich wollte die 37-Jährige auch bei den Olympischen Spielen 2010 in Vancouver in Kanada wieder auf Medaillenjagd gehen. Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklung steht ihr Start allerdings in den Sternen.

Autor: Stefan Nestler/Wolfgang van Kann

Redaktion: Andreas Ziemons