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Faule Abgeordnete?

Bernd Riegert, Brüssel11. Juni 2004

Mit der Europawahl endet die fünfte Legislatur-Periode des Europa-Parlaments. Die Abgeordneten haben oft mit dem Vorurteil zu kämpfen, sie seien faul. Aber zumindest statistisch haben sie "Greifbares" geleistet.

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Die Arbeit beim Europaparlament nimmt kein EndeBild: Bilderbox


Während der letzten Plenarsitzung des Parlaments Anfang Mai präsentierte der scheidende Präsident Pat Cox stolz seine Bilanz: "In den letzten fünf Jahren wurden 403 Gesetzesvorhaben und 86 Vermittlungsverfahren erfolgreich abgeschlossen. Das sind 250 Prozent mehr als in den fünf Jahren zuvor."

2250 Stunden Plenarsitzung

403 Gesetze im so genannten Mitentscheidungsverfahren hat das Parlament verabschiedet - das heißt, es hat Vorlagen gebilligt, die die EU-Kommission entworfen hat und die zuvor den Ministerrat passiert haben. Viele der insgesamt 2250 Stunden Plenarsitzungen waren mit detaillierten Diskussionen über Fragen des Binnenmarktes, des Verbraucher- und Umweltschutzes, Niederlassungsfreiheit, Industriepolitik und große Teile des Haushalts ausgefüllt. Seit den EU-Verträgen von Amsterdam 1997 und Nizza 2000 ist das Parlament so zu sagen als zweite Kammer nach dem Ministerrat für diese Bereiche zuständig.

Statistiken über Gesetze

Paul Dunstan von der Parlamentsverwaltung führt die Statistiken. Dass in dieser Legislatur-Periode mehr Gesetze vom Parlament verabschiedet wurden, hat seiner Ansicht nach nur zum Teil mit dem Fleiß der Abgeordneten zu tun: "Das hat auch technische Gründe, dass es soviel war. Das kam auch durch die Verträge von Amsterdam und Nizza. Das Wort Fleiß ist vielleicht ein wenig irreführend", erklärt Dunstan. "Das vorherige Parlament hat genau dasselbe gemacht. Das, was ihm vorgelegt wurde, hat es erfolgreich abgearbeitet. Es gab einfach mehr zu tun in dieser Legislatur-Periode."

Jahrelange Verfahren

Wenn das Parlament nicht zustimmt, kommt der gemeinsame Vermittlungs-Ausschuss von Ministerrat und Parlament ins Spiel. Dort dauern die Verfahren oft Jahre. In den letzten fünf Jahren landeten dort 86 Gesetze - im EU-Jargon "Richtlinien" und "Verordnungen" genannt. Kategorisch Nein sagt das Parlament am Ende nur äußert selten. "In der ganzen Legislaturperiode hatten wir nur zwei Verfahren, die zum Schluss abgelehnt wurden, und zwar über Hafen-Politik und Übernahme-Angebote. Die beiden wurden abgelehnt, das letzte mit Stimmengleichheit im Plenum."

Die Parlamentarier können aber auch über Änderungsanträge ihre Wünsche in den EU-Gesetzen unterbringen. Zwischen 9.000 und 10.000 Änderungsanträge kommen hauptsächlich aus den 17 Ausschüssen des Parlaments. Denn keine der großen Fraktionen, Konservative oder Sozialisten, hat eine eigene Mehrheit im Parlament. Deshalb sind die Vertreter aus mittlerweile 25 Staaten auf partei- und länder-übergreifende Zusammenarbeit angewiesen.

Schlüssel für Gesetze

Für jedes Gesetz ernennt eine Fraktion nach einem festgelegten Schlüssel so genannte Rapporteure. Das sind Berichterstatter, die Beschluss-Empfehlungen ausarbeiten. "Das heißt, dass wir relativ viele deutsche Berichterstatter von der EVP-Fraktion, den Konservativen, haben und relative wenige von den portugiesischen Liberalen. Das ist alles eine Frage der relativen Größe", so Dunstan.

Nach Nationalitäten aufgeschlüsselt waren die Niederländer die fleißigsten Rapporteure, die Deutschen lagen im oberen Mittelfeld, Frankreich am unteren Ende der Skala.

Der Abgeordnete Hans-Peter Martin, der seinen Kollegen Missbrauch von Tagespauschalen und Reisekosten vorwirft, behauptet, viele faule Abgeordnete ließen sich ihre Entscheidungsvorlagen von Lobby-Gruppen oder Beamten der EU-Kommission schreiben. Die Parlamentsverwaltung weist diese Vorwürfe zurück.

Abgearbeitet und mitentschieden

Das Europaparlament hat außerdem noch 733 Verfahren abgearbeitet, in denen es nicht mitentscheidet, sondern nur angehört wird, wie zum Beispiel in der Agrarpolitik oder der Außenpolitik. 52 völkerrechtliche Verträge der EU wurden in den letzten fünf Jahren gebilligt, darunter der Beitritt der zehn neuen Staaten am 1. Mai. Die Erweiterung, so meint Präsident Pat Cox in der Rückschau, sei die Sternstunde des Parlaments in dieser Legislatur-Periode gewesen. Am 3. Mai wurden in Straßburg die 160 Abgeordneten aus den beigetretenen Länder Osteuropas, sowie Malta und Zypern feierlich mit einem Fahnenappell in ihr Amt eingeführt.